Nachhaltigkeitsjournalismus in Deutschland

Welche Medien sind federführend und haben eine Zukunft?

Naturkatastrophen wie das jüngste Jahrhunderthochwasser spülen Nachhaltigkeit und Umweltschutz allmählich auf die Agenden der Journalisten. Welche Medien sind in der Nachhaltigkeitsdebatte federführend - und haben sie eine Zukunft?

Nur wenige Journalisten hinterfragen, weshalb sich Naturkatastrophen wie Überschwemmungen häufen, die unter anderem Dresden im Juni 2013 teilweise unter Wasser gesetzt haben.
Foto: © steve-k by istockphoto.com
Nach dem so genannten "Jahrhunderthochwasser" vom Sommer 2002 war es nur elf Jahre später wieder soweit: Im Juni 2013 waren weite Flächen in Mitteleuropa überflutet. Frisch sanierte Gebäude standen erneut unter Wasser, Menschen und Tiere starben. Und die Medien? Wenige Journalisten hinterfragten, warum es erneut zu Überschwemmungen solchen Ausmaßes gekommen war. Diese wenigen benannten Gründe und sie blickten auf soziale, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Folgen sowie mögliche Lösungen. Wenn auch nur in Ansätzen: Lokal wie überregional gab es ihn, den Nachhaltigkeitsjournalismus. Dieser findet nicht nur in Fachpublikationen wie forum Nachhaltig Wirtschaften statt. Er muss auch in lokalen Medien zu finden sein. Denn gerade hier, im Alltag, kann vermittelt werden, was der Einzelne für eine nachhaltige Entwicklung tun kann.

Nachhaltigkeit?! Noch vor wenigen Jahren war es in einigen Medien geradezu verpönt, dieses Wort zu benutzen. Galt es doch als zu sperrig, zu schwer zu erläutern. Mittlerweile taucht "Nachhaltigkeit" geradezu inflationär in manchen Medien auf. "Der Begriff sollte weniger verwendet werden", meint Dr. Thomas Pyhel. Über Umweltthemen werde viel berichtet, Nachhaltigkeit komme zu kurz. Dem stellvertretenden Abteilungsleiter Umweltkommunikation und Kulturgüterschutz der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) fehlt oft mindestens eine Dimension der nachhaltigen Entwicklung in den Berichten - umfasst diese doch das Zusammenspiel ökologischer, sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Aspekte.

Die Folgen des menschlichen Einflusses auf die Umwelt fanden1969 erstmals mediale Aufmerksamkeit, durch die Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, das "Sofortprogramm Umweltschutz" der Bundesregierung 1970 und die Einrichtung des Umweltrates im selben Jahr. Seither durchliefen Umweltthemen die übliche mediale Karriere. Nach einem Peak dümpelten sie nur wenig später weiter unten auf der Agenda. Heute haben sie Eingang in sämtliche Ressorts gefunden, wie wissenschaftliche Analysen zum Umweltjournalismus zeigen. Aber was ist Nachhaltigkeitsjournalismus? Ist er eine Weiterentwicklung? Ein übergreifender Begriff?


Die Energiewende auf 80 Zeilen ist großes Kino

Viele Journalisten können mit dem Begriff wenig anfangen. "Als akademischer Ordnungsbegriff ist Nachhaltigkeit gut, in der journalistischen Praxis vermeiden wir ihn aber", betont Torsten Schäfer, Journalismus-Professor an der Hochschule Darmstadt und ehemaliger Geo-Redakteur. DBU-Pressesprecher Franz-Georg Elpers ist ähnlicher Ansicht, zudem sieht er andere Herausforderungen: "Die Energiewende auf 80 Zeilen zu verdichten, das ist großes Kino". Das gelte vor allem für Journalisten, die sich nicht im Schwerpunkt mit diesen Themen befassen. Es ist also weniger wichtig, über den Begriff, als über seine Aspekte zu berichten.

In den vergangenen Jahren hat die Berichterstattung über Umweltthemen zugenommen. Das verdeutlicht auch die Entstehung neuer Magazine (Landlust), Fernsehformate (Green 7 von Pro 7), Sonderseiten, Blogs und Kolumnen. Hinzu kommen neue Internetseiten und Portale (WiWo Green der Wirtschaftswoche).

Aber die Berichterstattung hat sich auch inhaltlich erweitert, wie ein Blick in die Zeitschrift "test" der Stiftung Warentest zeigt. Lange Zeit testete sie Produkte hinsichtlich verschiedener Umweltaspekte. Seit zehn Jahren nun führt die Berliner Stiftung auch "CSR-Tests" durch. Sie prüft, wie sozial und ethisch Unternehmen handeln, beispielsweise Hersteller von Jeans, Kaffee oder Lachs. Die CSR-Tests haben Folgen: Es verträgt sich eben nicht mit dem Image eines Sportartikelherstellers, wenn er Kinder für sich arbeiten lässt. Entsprechend ändern Unternehmen ihre Produktion. In "Finanztest" berichtet die Stiftung zudem über ethisch korrekte und grüne Geldanlagen.


Portale wollen Konsum verändern

Ähnlich gehen auch Internetangebote vor, wie utopia.de. Konzipiert als Aktiengesellschaft will es über Verbraucherverhalten den Konsum verändern. Eine Kaufberatung ergänzt umfassende Berichte. wegreen.de bewertet Produkte und Firmen hinsichtlich ihrer nachhaltigen Ausrichtung - Nutzer können ausgezeichnete Produkte direkt bestellen. Auch das 2012 für den Grimme Online Award nominierte Portal klimaretter.info bietet seit 2007 eine Orientierungshilfe. Unterstützt von Experten wie Hartmut Grassl und Claudia Kemfert publiziert es Nachrichten, Hintergründe und Kommentare zur Klima- und Energiewende.

Diese Seiten beziehen Position für Nachhaltigkeit. Aber wie verträgt sich das mit den Kriterien für einen guten Journalisten, der sich laut Hanns-Joachim Friedrichs nie mit einer Sache gemein machen sollte(siehe Seite 58)? Die Debatte werde zu kurz geführt, klagt Torsten Schäfer. "Subjektivität ist bei manchem Genre sogar Auftrag", sagt er mit Blick auf Kommentare und Reportagen. Friedrichs sei Nachrichten-Journalist gewesen. Zudem ist es ja auch legitim, wenn Journalisten eine Haltung hinsichtlich Demokratie, Gender oder Minderheiten haben. Auch Franz-Georg Elpers hält einen ethischen Ansatz bei Journalisten nicht für verwerflich. "Die Umsetzung muss aber objektiv sein."

Noch einen Schritt weiter geht das Wirtschaftsmagazin enorm mit seinem "Solution oriented journalism". Dieser verfolgt einen Journalismus, der Ideen und Alternativen für nachhaltiges Wirtschaften, ethischen Konsum und soziales Unternehmertum aufzeigt. "Kritisch und meinungsbildend" wollen die Redakteure von Zeozwei, einem Magazin der taz, die Debatte um Umweltschutz und Nachhaltigkeit befeuern. Dazu thematisiert es Klima-, Energie- und Verkehrspolitik, Fragen zu Ressourcen und Biosphäre, Menschen unterschiedlicher Lebensstile. Das gesamte Spektrum nachhaltiger Themen beleuchtet das Greenpeace-Magazin mit sehr guter Qualität. Und auch das Fernsehformat Green 7 auf Pro 7 ist verbrauchernah.

Aber einfach ist es nicht, nachhaltige Themen zu transportieren. So ging das Nachhaltigkeitsportal Glocalist im Herbst 2012 offline. Schon im Sommer 2008 stellte Hubert Burda Media sein Magazin "Ivy" wegen "mangelnder Perspektive" nach wenigen Ausgaben ein. Mit der Marke wollte das Haus die so genannten "LOHAS" (Lifestyle of Health and Sustainability) erreichen. Diese legen - bei hedonistischen Zügen - Wert auf Gesundheit und Nachhaltigkeit. Kürzlich hat der Volontärsjahrgang 2011-13 der Burda-Journalistenschule das Magazin "Share" für Menschen entwickelt, die Dienstleistungen und Geräte teilen möchten. Das Feedback sei zufriedenstellend, aber ob es für Share weitergeht sei noch nicht entschieden, teilt das Verlagshaus mit.


Wie nachhaltig sind die Verlage?

Wie jedoch steht es um die nachhaltige Unternehmensführung von Verlagen? "Wer sich kritischem Journalismus verpflichtet, muss selbst einer genauen Überprüfung standhalten", schreibt der Axel Springer Verlag. Er gibt alle zwei Jahre einen Nachhaltigkeitsbericht heraus. 1994 habe sich der Verlag Umweltleitlinien gegeben, denen eine Auflistung des gesellschaftlichen Engagements beigestellt ist.

Unter dem Stichwort "Verantwortung" fasst der Verlag Gruner & Jahr sein Engagement hinsichtlich Gesellschaft, Umwelt und "Compliance" (ethische Grundlagen) zusammen und verweist auf einen vielfältigen Umweltjournalismus in seinen Produkten. Die Mitarbeiter würden auf umweltfreundliches Verhalten hingewiesen, zudem sei dem Haus der Austausch mit anderen Unternehmen, Umweltverbänden und Wissenschaftlern" ebenso wichtig, wie der mit Lieferanten und Umweltverbänden. Andere Unternehmen, wie die Mediengruppe Madsack und Hubert Burda Media, hingegen verweisen lediglich auf ihr Umweltmanagement, von Nachhaltigkeit keine Spur. Verlage engagieren sich offenbar nur wenig für nachhaltiges Management. Zumal: Überprüfen lässt sich aus der Ferne natürlich nicht, ob sie die wenigen Angaben tatsächlich umsetzen oder ob es sich eventuell um Greenwashing handelt.


Wie geht es weiter?

Die wirtschaftlich klammen Zeiten wirken sich auch auf den Nachhaltigkeitsjournalismus aus. Redaktionen haben weniger Zeit für vertiefte Recherche und investigatives Vorgehen. Freie Journalisten sollen für geringere Honorare mehr leisten. Hinzu kommt, dass die meisten Journalisten nur geisteswissenschaftlich vorgebildet sind und es bislang kaum Ausbildungsangebote für angehende Nachhaltigkeits-Journalisten gibt. Eine Ausnahme ist das im Oktober 2012 an der Leuphana Universität Lüneburg gestartete berufsbegleitende Zertifikat "Nachhaltigkeit und Journalismus" (weitere Angebote siehe S. 66).

Zudem gibt es praktische Unterstützung, wie auf dem Rechercheportal www.gruener-journalismus.de. Es zeigt sowohl thematisch, als auch hinsichtlich des journalistischen Handwerkszeugs auf, wie gute Berichte über grüne und nachhaltige Themen entstehen können. Die Seite www.medien-doktor.de/umwelt der Technischen Universität Dortmund bewertet journalistische Beiträge über Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen - und bietet damit auch Verbrauchern eine Orientierungshilfe.

Solche Angebote unterstützen dabei, fundierter über nachhaltige Entwicklung zu berichten - in jedem Medium, sei es digital oder analog, sei es lokal, überregional oder international. Das kann helfen, Zukunft nachhaltig zu gestalten, damit sich die Bedürfnisse der heutigen und der künftigen Generationen erfüllen können - gemäß dem Brundtland-Bericht von 1987.


Im Profil

Dr. Marie-Luise Braun ist freie Journalistin mit eigener Agentur. Sie schreibt für Tageszeitungen und Fachmagazine und hat über Umweltjournalismus promoviert. Sie ist Dozentin und hat das Zertifikatsstudium "Journalismus und Nachhaltigkeit" an der Leuphana Universität Lüneburg mitentwickelt. Als Kulturwissenschaftlerin beschäftigt sie der Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Gesellschaft.

Quelle:
Wirtschaft | Marketing & Kommunikation, 08.01.2014

     
        
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