BIOFACH 2025

Sustainable Leadership

Die Kompetenz, Entscheidungsprozesse anders zu gestalten

In jedem Unternehmen bestehen bewusst entwickelte und ohne bewusstes Zutun entstandene Entscheidungsprämissen, die einen Möglichkeitsrahmen für alle anfallenden Entscheidungen im Unternehmensalltag bieten. Entscheidungsoptionen werden zum Beispiel hinsichtlich ihrer Effizienz, ihrer Funktionalität, ihrer Legalität, ihrer Konformität zur Unternehmensstrategie oder ihres Beitrages zur Machtsicherung untersucht. Jeder Entscheidungsträger weiß, dass selten alle Prämissen erfüllt werden können.

Zunehmende Entscheidungskomplexität im Unternehmensalltag.
© Tom / Müller-Christ

Mit jeder Entscheidung entstehen Trade-Offs, d.h., eine Entscheidungsoption wird auf Kosten einer anderen Entscheidungsoption gewählt oder mit der Wahl einer Entscheidungsoption werden einige Entscheidungsprämissen erfüllt, während andere nicht berücksichtigt werden können. Das Bewusstsein, nie die perfekte Entscheidung finden zu können, immer die Qual der Wahl zu haben und mit den Trade-Offs leben zu müssen, löst Stress aus. Trade-Offs können mitunter in Form eines brüskierten Kollegen, in einer zunehmenden Rivalität zu anderen Abteilungen oder gar als Widerspruch zum eigenen Wertesystem oder des Unternehmensimages auftreten. In unserer globalisierten und komplexen Welt steigen die Anzahl der alltäglichen Entscheidungsoptionen und die Geschwindigkeit, mit der eine Entscheidung getroffen werden muss. Gleichzeitig verringert sich der Abstand zwischen wichtigen Entscheidungssituationen.


Nachhaltigkeit macht Entscheidungen komplexer

Die zunehmende Entscheidungskomplexität ist sowohl im Privat-, als auch im Berufsleben zu beobachten und Nachhaltigkeit trägt einen Teil dazu bei. Im Privatleben zum Beispiel beim Einkauf: Heutzutage weiß der Konsument viel über Herstellungsmethoden, über Tierhaltung, über Umweltprobleme oder über soziale Missstände bei der Produktion von Gütern. Die verschiedenen Kaufoptionen müssen genau miteinander verglichen werden. Wo ist das Produkt hergestellt worden, steht das Unternehmen für gewisse Sozialstandards, wie steht es um den ökologischen Fußabdruck, ist der Preis akzeptabel? Damit sorgt Nachhaltigkeit für mehr Komplexität und erfordert einen zusätzlichen Aufwand von Zeit und Energie. Auch im beruflichen Kontext erhöht Nachhaltigkeit die Komplexität von Entscheidungen: So hat vielleicht die Unternehmensleitung oder Nachhaltigkeitsabteilung durchgesetzt, dass von nun an beim Einkauf weitere nachhaltigkeitsrelevante Entscheidungsprämissen neben Preis, Qualität und Lieferbeziehung zählen. Dass dies aber praktisch in vielen Fällen nur schwer umsetzbar ist und meist zu einer Vernachlässigung der bisherigen Entscheidungsprämissen führt (z.B., wenn ein Produkt aus Biobaumwolle nicht die gewohnte Qualität erreichen kann oder durch die Einhaltung von Sozialstandards der Einkaufspreis steigt), spielt keine Rolle. Die Spannungen zwischen herkömmlichen und nachhaltigen Entscheidungsprämissen bekommt der Entscheidungsträger im operativen Geschäft im vollen Ausmaß zu spüren, zusätzlich steigt der Arbeitsaufwand. Fehlende Akzeptanz, Frustration und ein Düpieren der Nachhaltigkeitsabteilung sind vorprogrammiert.


Nachhaltige Entscheidungsprämissen können bei Mitarbeitern zu Unmut führen. Führungskräfte müssen Mitarbeiter bei der Überwindung ihrer Ablehnung unterstützen.
© Tom / Müller-Christ
Sustainable Leader verantworten neue Entscheidungsprämissen

Die Aufgabe eines Sustainable Leader ist es, das Kräftespiel von herkömmlichen und nachhaltigkeitsbezogenen Entscheidungsprämissen nach neuen Regeln zu gestalten. Entscheidungsprozessen muss eine Struktur zur Bewältigung der Widersprüche gegeben werden und Mitarbeiter sollten dazu befähigt und motiviert werden, intelligente Abwägungsverfahren im Arbeitsalltag zu nutzen. Um eine Balance zwischen den verschiedenen Entscheidungsprämissen herstellen zu können, muss ein Sustainable Leader argumentativ gut aufgestellt sein. Er muss Vorbehalte und Sorgen entkräften und einen Sinn geben können, er muss Verantwortung bewusst machen und übertragen können, zudem motivierend wirken und als Vorbild handeln. Jeder kann ein Sustainable Leader sein, aber je höher die Position in einem Unternehmen, desto größer ist die Wirkung.


Der Anspruch an Führungskräfte, sowohl fachlich fit zu sein, als auch ein gewisses Charisma bzw. eine gute Außenwirkung zu haben, motivieren und überzeugen zu können und zudem stets integer zu handeln, ist hoch. Umso wichtiger ist es für die Zukunft, bei Personaleinstellungen konkret darauf zu achten, ob entsprechende Einstellungen, Werte und weitere Fähigkeiten für eine Vorbildfunktion bei Bewerbern vorhanden sind. Insbesondere sind ein Interesse an Menschen, Empathie sowie weitere soziale und kommunikative Fähigkeiten von Vorteil. Stoßen Entscheidungsprämissen der Nachhaltigkeit bei Mitarbeitern auf Widerstände, ist es hilfreich, die ganz individuellen Gründe hierfür zu erfahren und auf diese gezielt zu reagieren. Jeder Mensch hat Motivatoren, diese gilt es zu bedienen, sodass mit der Zeit immer mehr Mitarbeiter Entscheidungsprämissen der Nachhaltigkeit berücksichtigen können und wollen.


Systemaufstellungen gehören zum Toolkit des Sustainable Leadership

Da die verdeckten Einstellungen und Werte von Mitarbeitern für Führungskräfte nicht einfach zu ergründen sind, kann auf unterstützende Methoden zurückgegriffen werden. Hier empfiehlt sich zum Beispiel die Methodik der Systemaufstellungen. Mithilfe von Systemaufstellungen kann ein reales System mit allen relevanten Elementen nachgestellt werden. Die Elemente einer solchen Aufstellung - meist Personen, aber auch Funktionen oder Organisationsprinzipien und Entscheidungsprämissen - werden durch Stellvertreter repräsentiert und in einem Raum in Beziehung zueinander gestellt. Die Stellvertreter, welche nichts oder nur sehr wenig über ihre Rolle wissen, beginnen automatisch, ihre jeweilige Rolle im System zu finden. Sie spüren Spannungen, Verbindungen, Sympathie, Abneigung oder Isolation zu anderen Stellvertretern. Durch Fragen des Aufstellungsleiters können gezielt Probleme angesprochen werden, zwischen den Stellvertretern entstehen angeleitete Diskussionen. Aussagen werden getroffen, die auf die Einstellungen und Verhaltensabsichten der realen Systemelemente schließen lassen.

Systemaufstellungen können genutzt werden, um verdeckte Widerstände aufzudecken und Lösungen zu erarbeiten.
© Tom / Müller-Christ

Ungeachtet der Tatsache, dass es keine wissenschaftliche Erklärung gibt, wie sich die Emotionen und Einstellungen der realen Elemente auf die Stellvertreter übertragen, überzeugt die Methode dahin gehend, dass immer wieder - auch zum Erstaunen der Unternehmensvertreter - Aussagen mit einem hohen Realitätsgehalt getroffen werden. Die Methode scheint uns von daher geeignet, Beziehungen zwischen verschiedenen Mitarbeitern und Vorgesetzen in Hinblick auf konkrete Zielsetzungen, zum Beispiel mehr Nachhaltigkeit in Entscheidungssituationen, zu untersuchen und Lösungen zu erarbeiten. Zudem gehen wir davon aus, dass durch die Teilnahme als Stellvertreter in Systemaufstellungen die Ambiguitätstoleranz und Ambivalenztoleranz von Mitarbeitern gefördert werden können, welche dafür ausschlaggebend sind, Widersprüche und Spannungen kognitiv und emotional zu bewältigen.
 
Von Prof. Dr. Georg Müller-Christ, Professur für BWL, insbesondere Nachhaltiges Management, und Gitta Nikisch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Bremen

Quelle:
Wirtschaft | CSR & Strategie, 22.01.2014

     
        
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