Die verpasste Chance
Rund um den Globus fiebern Millionen von Menschen mit, wenn die besten Nationalmannschaften der Welt in den neuen Stadien Brasiliens um den Pokal der 20. FIFA Fußballweltmeisterschaft wetteifern.
Widerstrebende Interessen
Brasilien war klar, dass sehr hohe Investitionen getätigt werden müssen, um die umfangreichen Anforderungen der FIFA zu erfüllen. Diese, so wurde zu Beginn der Vorbereitungsphase betont, würden auch aus privaten Mitteln getätigt werden. Letztlich aber garantierte die Brasilianische Regierung den Löwenanteil aus öffentlichen Mitteln zu begleichen und zog sich damit den Ärger der Bevölkerung zu.
Die Anforderungskataloge der FIFA sind umfangreich und reglementieren bis ins kleinste Detail, was von den Austragungsorten zur Organisation des Mega-Events bereitgestellt werden muss: angefangen bei den Kapazitäten der Flughäfen der Spielorte, über die Werbebotschaften, die entlang der Straßen zum Stadion hängen dürfen, bis hin zur Art und Anzahl der Hotelzimmer. Auflagen, die von den meisten Ländern große Anstrengungen erfordern. Der Rechteinhaber ist letztlich nur am reibungslosen Ablauf der Spiele der WM und den damit verbundenen Einnahmen interessiert. Nach der WM ziehen die FIFA-Verantwortlichen weiter zum nächsten Austragungsort und kontrollieren dort die Umsetzung für das nächste globale fußballerische Kräftemessen. Denn die WM soll 2018 wieder reibungslos in Russland ablaufen.
Schnell übersehen wird hierbei – gerade unter dem massiven Zeitdruck – das enorm große Potenzial, dass ein solches Großereignis für die nachhaltige Entwicklung des Gastgeberlandes bergen kann. Gut vorbereitet, lassen sich Meilensteine auf dem Weg einer nachhaltigen Transformation des Ausrichterlandes realisieren, wie der Ausbau der Tourismusinfrastruktur, Verwaltungsreformen oder die ökologisch ausgerichtete Entwicklung der Verkehrswegenetze. Die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH hat bereits in sehr unterschiedlichen Kontexten Ausrichter von Großveranstaltungen bei ihren Vorbereitungen unterstützt, so zum Beispiel bei der EXPO 2000 in Hannover, Südafrika bei der WM 2010 und die Ukraine bei der EM 2012. In Brasilien wurden im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Stadien mit Solardächern ausgestattet, um so unter anderen Erneuerbare Energien zu fördern und die Öffentlichkeit für Umwelt- und Klimathemen zu sensibilisieren. GIZ AgenZ (die GIZ-eigene Agentur für politische Kommunikation und strategisches Marketing) hat die positiven „Legacies", die durch eine Großveranstaltung erreicht werden können auf der Basis der Projekterfahrungen der GIZ analysiert – und diese sind in der Tat vielfältig:
• In der politisch-kommunikativen Dimension können Austragungsorte das Image des Austragungslandes nachhaltig positiv beeinflussen.
• In der ökonomischen Dimension kann die lokale Wirtschaft vorbereitet werden, damit sie zum Beispiel von dem gesteigerten Tourismusaufkommen langfristig profitiert.
In der infrastrukturellen Dimension kann die Großveranstaltung als Katalysator für infrastrukturelle Modernisierungen dienen, wenn sie in die langfristigen Entwicklungspläne der Ausrichterregion eingebunden sind. Dabei ist insbesondere die Frage von Nachnutzungskonzepten für Veranstaltungsstätten von Bedeutung.
In der sozialen Dimension bieten Großveranstaltungen die Gelegenheit, die gesellschaftliche Integration und Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung zu stärken und Bildungs-, Sozial- und Sensibilisierungsprogramme zu fördern.
In der ökologischen Dimension lassen sich zwei Aspekte unterscheiden: Erstens, kann die Großveranstaltung genutzt werden, um Fragen von ökologischer Nachhaltigkeit öffentlich zu thematisieren. Zweitens, können die direkten negativen ökologischen Auswirkungen der Durchführung der Großveranstaltung vermieden, verringert oder zumindest kompensiert werden.
Um diese umfangreichen Potenziale nutzen zu können, bedarf es einer akkuraten Planung, der Einbettung der unterschiedlichen Dimensionen in die Vorbereitungen sowie eines engen Zeitmanagements. In den seltensten Fällen haben die Ausrichterländer allerdings Erfahrungen mit der Umsetzung eines solchen Ereignisses und fokussieren sich mit zunehmendem Zeitdruck darauf, die Anforderungen der FIFA zu erfüllen. So auch in Brasilien. Die positiven Folgewirkungen der Großveranstaltung wurden zu Beginn von der FIFA und den frisch bestätigten brasilianischen Ausrichtern hoch gepriesen. Je näher jedoch der Termin der Veranstaltung rückte, desto leiser wurden die Versprechungen und nur noch die elementarsten Maßnahmen wurden durchgeführt.
Katzenjammer danach
Das Mega-Event wird zum Pyrrhussieg, der weithin sichtbar ist, aber außer schönen Erinnerungen, leeren öffentlichen Kassen, zusätzlichen sozialen und ökologischen Problemen und überdimensionierten Baumaßnahmen wenig zurück lässt. Die für die WM gebauten Fußballtempel Brasiliens werden für die Spiele der städtischen Clubs überdimensioniert zurückbleiben, genauso wie die emsig ausgebauten Hotelkontingente, die in so großer Anzahl in den weniger touristischen Spielorten ungenutzt bleiben werden.
Großveranstaltungen sind somit ein unter Zeitdruck stattfindender Stresstest für das Ausrichterland, an dem sie sich häufig überheben. Es sind zwar die Rechteinhaber wie die FIFA, die ihre Anforderungen zunehmend ausweiten und so die Veranstaltung aufwändiger und damit teurer machen. Jedoch sind es die Länder selbst – in diesem Fall Brasilien – die sich für eine Großveranstaltung bewerben. Die Regierungen der Länder wollen das einmalige Zeitfenster, in der die Welt auf das eigene Land schaut, nutzen, um sich zu präsentieren und international sichtbar zu werden. Sie versuchen ihre Vorgänger zu übertrumpfen und setzen damit die Messlatte immer höher für die nächsten Ausrichter. Und die FIFA geht dabei mit. Eine neue Messlatte für die Imagesteigerung könnte für beide – die FIFA und das Land – die Nachhaltigkeit bei der Verwirklichung der Ausrichtung von Fußballgroßereignissen sein. Offen bleibt somit die Frage, wer die Verantwortung für die langfristige Wirkung solcher Mega-Events übernimmt. Bisher schieben sich die involvierten Parteien gegenseitig den schwarzen Peter zu. Die Rechteinhaber interessieren sich nur für die erfolgreiche Umsetzung der Veranstaltung und die damit verbundenen Milliarden-Einnahmen. Die Ausrichter aber sind froh, wenn sie die Milliarden-Ausgaben nach der Veranstaltung still abschreiben können. Sollte aber nicht eigentlich die langfristige, nachhaltige Entwicklung des Ausrichterlandes im Fokus stehen und bei Milliarden ausgegebener Steuergelder eine verantwortungsvolle Verwendung die höchste Prämisse sein? Die Potenziale sind wie gesagt groß. In Brasilien dürfte die Rechnung nicht aufgehen.
ANDREAS VON SCHUMANN
ist Diplom-Sozialwissenschaftler und leitet die GIZ-eigene Agentur AgenZ. Seit der EXPO 2000 hat er Engagements der GIZ im Rahmen von Großveranstaltungen verantwortet, so z.B. bei der WM 2010 in Südafrika und der EM 2012 in der Ukraine.
TALIS ZVIDRINŠ
ist Sport- und Wirtschaftswissenschaftler und arbeitet seit 2010 bei AgenZ.
Die Studie "Großveranstaltungen als Motor für nachhaltige Entwicklung" finden Sie unter www.agenZ.de
Lifestyle | Sport & Freizeit, Reisen, 01.07.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2014 - Tooooor! 3:0 für Nachhaltigkeit erschienen.
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