Energieeffizienz
auf der Überholspur
Doch von alle dem war bisher wenig zu spüren: die Energieeffizienz befindet sich bisher auf der „Kriechspur" (2000 bis 2012: 0,5 % weniger Energiebedarf pro Kopf und Jahr), während der Ausbau der Erneuerbaren Energien mit rasantem Tempo um 10 % pro Jahr voranschritt und damit den Strompreis in die Höhe trieb. Doch trotz steigender Energiekosten bleiben zahlreiche, hoch rentable Energieeffizienzpotenziale in der Wirtschaft ungenutzt. Würden diese Potenziale realisiert, könnten Preissteigerungen für Strom und andere Energieträger kompensiert und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gestärkt werden.
Ein Schlüssel zum Erfolg: Lernende Energieeffizienz-Netzwerke
Ein überaus erfolgreicher Ansatz, diese Potenziale zu heben, sind lernende Energieeffizienz-Netzwerke (LEEN). Deren Schlüssel zum Erfolg liegt in einem regelmäßigen und professionell begleiteten Erfahrungsaustausch innerhalb eines regionalen Netzwerks, in dem sich zehn bis 15 Unternehmen für einige Jahre zusammenschließen, um gemeinsam ihren Energieverbrauch und ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Voneinander lernen – das ist das Herzstück der LEEN-Netzwerke. Die Idee stammt aus der Schweiz und wurde im Jahr 2002 durch den Autor nach Deutschland übertragen. Nach einer Testphase (2002 bis 2008) folgte das flächendeckend angelegte und vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) wissenschaftlich begleitete Projekt „30 Pilot-Netzwerke".
Gewinn steigern und Klima schützen
Die 366 Unternehmen in den „30 Pilot-Netzwerke" konnten im Durchschnitt jeweils 2.700 MWh Energie, 940 t CO2-Emissionen und 180.000 Euro Energiekosten pro Jahr einsparen und liefern damit einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz. Zusätzlich steigerten sie damit langfristig Ihre Wettbewerbsfähigkeit und stärkten das regionale Gewerbe durch ihre Investitionen. Im Durchschnitt kommt es durch ein Energieeffizienz-Netzwerk zu 7 Mio. € Investitionen binnen drei, vier Jahren und nicht selten finden die Investitionen auch Nachahmer in der Region oder im betroffenen Konzern.
Alle LEEN-Teilnehmer erhalten zu Beginn eine qualifizierte Initialberatung von einem speziell ausgebildeten und erfahrenen Energietechnik-Experten. Mit diesem wird nicht nur ein mehrjähriges Netzwerkziel vereinbart, sondern es finden pro Jahr auch vier Treffen zu einem zuvor gewählten Energieeffizienz-Thema samt Betriebsbegehung und moderiertem Erfahrungsaustausch statt. Dabei wird jedes Jahr auch der konkrete energietechnische Fortschritt der einzelnen Teilnehmer und des Netzwerkes durch ein entsprechendes Monitoring erfasst.
Entscheidungsroutinen blockieren Maßnahmen
Außer über konkrete Möglichkeiten zur Energieeinsparung tauschen sich die Unternehmen der „30 Pilot-Netzwerke" auch über Hindernisse aus. Das Projektteam fand im Rahmen der begleitenden Evaluation heraus, dass einseitige Entscheidungsroutinen den Maßnahmen für eine verbesserte Energieeffizienz häufig im Wege stehen. 85 % der Unternehmen treffen ihre Entscheidung für oder gegen eine Energieeffizienz-Investition allein nach der Amortisationszeit statt nach einem Rentabilitäts-Indikator wie z.B. der internen Verzinsung. Zwei oder drei Jahre als geforderte Amortisationszeit führen damit zu einer systematischen Fehlentscheidung, weil dann rentable Energieeffizienz-Investitionen trotz einer internen Verzinsung von 49% bzw. 30% nicht realisiert werden, auch wenn sie eine absehbare Lebensdauer von 10 bis 15 Jahren haben. Auch schenkt das Management der Energieeffizienz wenig Aufmerksamkeit, weil die Energiekosten oft nur 1 bis 5 Prozent der Produktionskosten betragen. Bei Ausschreibungen fehlen deshalb häufig hinreichende Effizienz-Vorgaben für energieverbrauchende Komponenten bei Maschinen und Anlagen. Auch die Zulieferer verhindern optimale Innovationen, weil sie die Standardlösungen statt energieeffiziente Alternativen anbieten. Oft kennen Technologiehersteller den Energiebedarf ihrer Maschinen, EDV-Lösungen oder Anlagen gar nicht („Das hat uns noch niemand gefragt") oder weigern sich dem Optimierungs-Wunsch eines effizienzbewussten Industriekunden nachzukommen (z.B. durch die Nachisolierung eines Ofens oder die Rückgewinnung von Prozesswärme).
Auch Banken entscheiden bei ihrer Kreditvergabe allein nach der Bonität des Unternehmens, statt auch auf die Rentabilität einzelner Investitionen zu achten. Sie betonen die Risiko-Abschätzung und können die zusätzliche Rendite einer Energieeffizienz-Investition wegen fehlender technischer Kompetenz oft nicht beurteilen.
Auf diese Probleme gehen die Netzwerke beim Erfahrungsaustausch ein. Diejenigen Betriebe, die ihre Entscheidungsroutinen umgestellt haben, berichten den Kollegen über die Auswirkungen bei Energieeffizienz, Kosteneffekte und Verminderung der CO2-Emissionen.
Lernende Energieeffizienz-Netzwerke starten durch
Unternehmen, die diese Hemmnisse überwunden haben, profitieren über viele Jahre von der erhöhten Effizienz. Diese Chancen werden den Teilnehmern durch den Erfahrungsaustausch in den Energieeffizienz-Netzwerken bewusst. Best Practise und positive Erfahrungen der Vorreiter geben Nachahmern Rückhalt aktiv zu werden. Die derzeitigen knapp 60 Energieeffizienz-Netzwerke (neben den 30 geförderten Netzwerken gibt es bereits weitere 30 Netzwerke) sind nach Ansicht der Beteiligten erst der Anfang. Abhängig von den energie- und klimapolitischen Rahmenbedingungen und den Empfehlungen der Wirtschaftsverbände erwarten sie in den nächsten 5 Jahren 100 bis 300 zusätzliche Energieeffizienz-Netzwerke nach dem LEEN-Standard in Deutschland. Bei insgesamt 400 Netzwerken könnte eine zusätzliche Energieeinsparung von gut 9.000 GWh/a bis 2020 in Deutschland erreicht und etwa 3,8 Mio. t /a CO2-Emissionen vermieden werden. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Erfüllung der Energieeffizienz-Richtlinie der EU und auch zur Erreichung der Klimaschutzziele.
Die Energieeffizienz-Netzwerke- für KMU und Kommunen
Für kleinere und mittlere Betriebe mit Jahresenergiekosten von 30.000 bis 500.000 € hat die Zeit der lernenden Energieeffizienz-Netzwerke im letzten Jahr begonnen: ein den KMU angepasstes und auf dem LEEN-Standard basierendes Netzwerkkonzept „Mari:e" (Mach‘s richtig: energieeffizient) wird derzeit in fünf Netzwerken mit 60 Unternehmen getestet und begleitet. Die Effizienzbeiträge und die verminderten CO2-Emissionen der Teilnehmer werden zwar um einen Faktor 10 geringer ausfallen, aber die Anzahl der Akteure ist auch ein Zehnfaches höher.
Im Herbst 2014 ist der Start eines Förderprogramms der Bundesregierung für Energieeffizienz-Netzwerke von Gebietskörperschaften (bis zu etwa 200.000 Einwohnern) geplant, die vergleichbare jährliche Energiekosten haben wie mittlere bis große Unternehmen. Hierzu wurde das LEEN-Konzept für mittlere Kommunen und Landkreise angepasst. Man wird sehen, ob die teilnehmenden Kommunen und Landkreise vergleichbare Erfolge einer Verdopplung des Energieeffizienz-Fortschrittes erzielen.
von Prof Dr.-Ing. Eberhard Jochem
Prof. Dr.-Ing. Eberhard Jochem
ist Energiewissenschaftler und Experte für
Energieeffizienz-Politik. Der international anerkannte Wissenschaftler ist im
technisch-ökonomischen Feld der rationellen Energieanwendung seit Jahrzehnten
tätig und veröffentlicht hierzu regelmäßig wissenschaftliche Arbeiten. In diesem
Jahr wurde Prof. Jochem mit dem renommierten B.A.U.M.-Umweltpreis
ausgezeichnet.
Technik | Energie, 01.10.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2014 - Green Tech als Retter der Erde erschienen.
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