CSR im Strudel des Zusammenbruchs
Argentinien ist – wieder einmal – in der Krise. Lateinamerikas drittgrößte Volkswirtschaft ist seit 1. August technisch bankrott.
Jetzt zeigt sich, was CSR am Ende der Welt bedeutet, warum sie heute wichtiger denn je ist und ob sich deutsche Firmen in Argentinien einsetzen.
Die letzte Staatspleite liegt erst 12 Jahre zurück. Und genau sie war es, die Nachhaltigkeit zu einer festen Größe im argentinischen Wirtschafts-Alltag machte. Auch für die hier tätigen 200 deutschen Unternehmen, denn Lateinamerikas drittgrößte Volkswirtschaft durchlebte vor 12 Jahren ihre bis dato schwerste Krise. Im Januar 2002 kollabierte das 40-Millionen-Einwohner-Land im Rahmen von politischer Instabilität, einem explodierenden Staatsdefizit, internationalen Schulden von 130 Milliarden USD und Rohstoffpreisen auf Kellerniveau. Die lokale Währung, der Peso, verlor 60 Prozent ihres Wertes. Von den rund eine Million Firmen – darunter 600.000 kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) – musste ein Großteil seine Mitarbeiter entlassen. Mehr als 30 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung fand sich innerhalb weniger Wochen auf der Straße wieder. Mit dem Wegfall der öffentlichen Hand lernten die Unternehmen, in die Bresche zu springen, soziale Verantwortung zu übernehmen. In vielen Fällen angetrieben von den spontanen Initiativen ihrer eigenen Mitarbeiter. Knapp ein Jahrzehnt später ist CSR noch ein zartes Pflänzchen am Ende der Welt und schon wieder im Sturm der Ereignisse.
Jetzt muss CSR wahre Stärke zeigen
Von den rund eine Million gemeldeten Unternehmen haben nicht mehr als 350 eine eigene CSR-Abteilung eingerichtet, belegen die Statistiken des Argentinischen Institutes für Corporate Responsability (IARSE). Die Schieflage ist verständlich: Rund 75 Prozent der argentinischen Firmenlandschaft stellen kleine und mittelständische Betriebe, die oftmals nicht über die Mittel verfügen, CSR zu einem strategischen Unternehmensziel zu erklären. Bald könnte diese aber gefragter denn je sein, denn die internationalen Ratingagenturen erklärten Argentinien zum 1. August erneut technisch bankrott. Grund ist ein juristischer Streit mit internationalen Hedgefonds vor einem New Yorker Gericht. Die zweite Staatspleite in knapp 12 Jahren blockiert der Regierung den dringend notwendigen Zugang auf die internationalen Finanzmärkte, während das Land immer tiefer in einer Rezession versinkt. So steuert die Inflationsrate erneut auf die 40-Prozent-Marke zu, während rund 25 Prozent der Bevölkerung nach der jüngsten Statistik der unabhängigen Universidad Católica in Armut lebt und die wichtigsten Produktionssektoren (Industrie, Landwirtschaft und Einzelhandel) nur noch Einbrüche vermelden. „Derzeit sind es nur vereinzelte Unternehmen und auch nur die von besonders betroffenen Sektoren – wie Automobil- oder Ernährungssektor –, die ihre CSR-Initiativen etwas zurückfahren", erklärt Luis Ulla, Präsident des IARSE, die Situation. In jedem Fall sei es nach seiner Ansicht der absolut falsche Zeitpunkt, gerade jetzt daran zu sparen. „Wir hoffen, dass die Solidarität erneut steigen wird und erwarten trotz Krise keinen signifikanten Einbruch", ergänzt Ulla und hebt hervor, dass sein Institut im Krisenjahr 2001 gegründet wurde und seitdem stetig ungeachtet aller Krisen wachsen konnte.
Die Krise als Chance
„Schon die Krise von 2002 hat maßgeblich zur Ausbreitung des Konzeptes der CSR beigetragen", erinnert Ulla. Die Unternehmen begriffen, dass sie gefordert waren. Die Beweggründe waren allerdings unterschiedlich. „Es gab diejenigen, die mittels CSR nachhaltig auf ihre Wertschöpfungskette einzuwirken suchten, und jene, die einfach den Moment ausnutzten, um Marketing zu machen", erklärt Ulla. Die Führung übernahmen die international aufgestellten argentinischen Konzerne („Multilatinas"), wie der Nahrungsmittel- und Süßwarenhersteller Arcor oder der Stahlkonzern Techint. Als Local Player verstanden sie es, gezielter als ihre ausländischen Konkurrenten die sozialen Brennpunkte im Land zu identifizieren und wirksam zu handeln. Aber auch vor ihrer eigenen Wertschöpfungskette übernahmen sie Pionierfunktion. Trotzdem ist CSR inzwischen keine Frage der Größe mehr. Von den 76 neuen Unternehmensprojekten in 2013 starteten – nach Umfragen der privaten Universität Torcuato Di Tella – 67 Prozent mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit. Fünf Investmentfonds sowie insgesamt 20 Nichtregierungsorganisationen, Institute und Interessensvereinigungen haben CSR ihre Entstehung zu verdanken.
Erziehung, Armut und Gesundheit
Egal ob internationaler Konzern oder KMU, Brennpunkt für den Großteil der CSR-Initiativen sind die Bereiche Erziehung, Armut und Gesundheit, wie die Projektlisten der Mitglieder in Instituten wie IARSE oder auch dem CEADS, der lokalen Vertretung des World Business Council for Sustainable Development (WBCSD), zeigen. Auch deutsche Unternehmen arbeiten dabei an vorderster Front mit, wenn auch noch mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Rund 200 Firmen rein deutschen Kapitals produzieren in Argentinien, erklärt die Deutsch-Argentinische Handelskammer. Darunter sind Namen wie VW, Henkel, SAP, Wintershall oder auch die Reederei Hamburg Süd. „Gerade deutsche Konzerne hatten und haben eine hervorragende Möglichkeit, CSR in der hiesigen Wertschöpfungskette zu verankern. Denn, so wie die Qualität als Markenzeichen deutscher Unternehmenskultur gilt, könnte es auch mit den CSR-Standards sein", mahnt Ulla.
CSR – Made in Germany
Zu den jüngsten in Argentinien ansässigen Betrieben zählt der Software-Anbieter SAP. Die Walldorfer landeten 1994 in Buenos Aires. „Die Krise 2001 ging an keinem spurlos vorüber. Jeder hatte einen Betroffenen in der Familie", erinnert sich der CSR-Beauftragte Lautaro Spotorno. Mit dem Ziel, die Hilfsbereitschaft zu organisieren, stellten fünf SAP-Mitarbeiter in Eigenregie eine Initiative auf die Beine. Ihr Name: „Solidar". Die Software-Firma unterstützte das Projekt zunächst nur extern. „Doch vor fünf Jahren gab die Zentrale die Vorgabe aus, weltweit die lokalen Maßnahmen in eine globale Strategie münden zu lassen", berichtet Spotorno. Die Firma führte daraufhin Solidar in eine bürgerlich-rechtliche Gesellschaftsform über, die heute der Kommunikationsabteilung untersteht. Jahresbudget: rund 100.000 Euro. Gefördert wird die in Argentinien verbreitete Form der Freiwilligen-Arbeit. Als Leitthemen definierte die Niederlassung die Bereiche Erziehung und Entrepreneurship. „Beide sind sowohl mit unserem Kerngeschäft, als auch mit unserer eigenen Geschichte verbunden", erklärt Spotorno. Rund 60 Prozent der 550 Mittarbeiter von SAP Argentina nahmen im letzten Jahr an CSR-Aktivitäten teil, erklärt der Manager.
Verantwortung für Aus- und Weiterbildung
Bei VW Argentina war der Weg ähnlich. Nach 2002 fehlte es an Facharbeitern in allen Produktionsbereichen. Der seit 1980 am Rio de la Plata präsente Autobauer erkannte, dass die „Lehre von der Verantwortung zunächst im eigenen Haus und bei der Qualifikation beginnen muss", wie der lokale CSR-Verantwortliche Herbert Prock erklärt. Das Unternehmen arbeitete Ausbildungsprogramme für die 7.000 Mitarbeiter aus. Zu dem wichtigsten entwickelte sich die Initiative, die es Mitarbeitern ermöglicht, den Schulabschluss innerhalb des Werkes zu beenden oder gar nachzuholen. Als Win-win-Initiative entpuppte sich auch die Zusammenarbeit mit der Universidad Tecnológica Nacional. Mit der auf Ingenieurwissenschaften, Mechanik, Elektronik und Informatik spezialisierten Institution arbeitete das Unternehmen einen speziell auf den Automobilsektor ausgerichteten Studiengang aus, in den VW Argentina nach eigenen Angaben rund 3 Millionen USD fließen ließ. Zusatzbaustein sind Freiwilligen-Programme zur Ernährungsversorgung von Kindergärten. Über das Gesamtbudget für die Umsetzung der lokalen CSR-Strategie will Prock nicht sprechen. „Ich gebe ungern irgendwelche Zahlen an, da dabei vieles außen vor bleibt, das auch CSR ist oder aber anderes hineinkommt, was es nicht ist", erklärt er.
Sehr viel klarer eingegrenzt ist das Bild dagegen bei Siemens Argentina. Ähnlich wie SAP lenkt die lokale Niederlassung des Münchner Mischkonzerns, die 1.400 Mitarbeiter beschäftigt, ihre soziale Verantworung im Rahmen einer Stiftung. Eingerichtet 2009 unter dem Namen ‚Fundación Siemens Para el Desarrollo de la Argentina’ (Siemens-Stiftung zur Förderung der Entwicklung Argentiniens), verfügt der Bereich über ein Jahresbudget von 3 Millionen Peso (rund 271.000 Euro). „Unsere Leitthemen sind Erziehung, Soziale Investition, Umwelt und Kultur", erklärt Stiftungsleiterin Guadalupe Temprano. „Schwerpunkt ist der Bereich Erziehung, der mehr als 50 Prozent der CSR-Aktivitäten bündelt. Insbesondere, weil das auch im Zentrum unserer Geschäftstätigkeit liegt", erläutert Temprano. Zielgruppe sind vor allem staatlich-öffentliche Schulen des Landes, deren Schullabors und Forschungsräume von Siemens eingerichtet werden. Hierzu arbeitet das Unternehmen mit rund 50 strategischen Partnern, die sich um Installation und Wartung der Anlagen kümmern. Ein zweiter Baustein ist die Ausbildung von Lehr- und Schulpersonal.
Zahlen als Erfolgskontrolle
Trotz aller Ähnlichkeiten, bei der Auditierung ihrer CSR-Aktivitäten gehen die drei Unternehmen unterschiedliche Wege. Während SAP Argentina zentral nachverfolgt, wie viele Familien etwa von der Investition eines Peso profitieren, ist in den lokalen Produktionsstätten von VW jede Abteilung selbst dafür verantwortlich, die Wirkung der CSR-Arbeit nachzuverfolgen. Siemens setzt auf die Zusammenarbeit mit strategischen Partnern, die „nach einer konkreten Methodologie die Wirkung und Reichweite der Aktionen dokumentieren", wie Temprano versichert.
Die deutschen Zentralen lassen den lokalen Niederlassungen in jedem Fall freie Hand bei der Bestimmung ihrer strategischen Leitthemen. Alle drei Unternehmen stellen ihre Tätigkeiten im Rahmen eines eigenen CSR-Berichtes einmal jährlich zusammen. Eines der größten Hindernisse dabei: Die argentinische Problematik der deutschen Denke verständlich zu machen. Sei es die Inflationsrate, die für Ende 2014 auf rund 40 Prozent gerechnet wird, der Einfluss der Gewerkschaften oder die Zeiten, die Projekte und Verträge mit der Regierung erfordern. „In Deutschland geht alles schneller. Dort wickelt man Verträge innerhalb von Wochen ab. Hier gehen manchmal bis zu vier Monate ins Land. Das zu vermitteln war am Anfang sehr schwer", fasst einer der Befragten das Dilemma zusammen.
Wo Not ist, wächst das Rettende auch
CSR ist in Argentinien heute kein Fremdwort mehr. Mit zum Teil brutaler Klarheit haben die letzten zehn Jahre das Thema in den Mittelpunkt unternehmerischer Tätigkeit gerückt. Beispiele belegen, dass deutsche Firmen durchaus ihren Beitrag leisten, aber auch, dass es für das „CSR – Made in Germany" noch mehr als genug zu tun gibt: Seit 2012 wuchs die einkommenschwächste Schicht der Bevölkerungspyramide von 13,3 Prozent auf heute 16,7 Prozent an und die aktuelle Finanzkrise dürfte dieses Verhältnis leider nur verschärfen. Argentinien freut sich somit über tatkräftige Impulse deutscher Unternehmen. Gerne stellt forum direkte Kontakte her.
„Das ist nicht mehr nachvollziehbar".
Mit mehr als 140 beteiligten Firmen gilt das Argentinische Institut für CSR (IARSE) als eine der zentralen Stimmen des Landes bei der Förderung der sozialen Verantwortung von Unternehmen. Gegründet 2002 hat es seinen Hauptsitz in Córdoba, Hauptstadt der gleichnamigen zentralargentinischen Provinz.
Im forum-Interview erklärt IARSE-Präsident Luis Ulla, welche Herausforderungen die CSR in Argentinien vor sich hat.
Was fehlt in Sachen CSR in Argentinien?
Es fehlt noch sehr viel bei der Messung und Auditierung. Viel zu sehr mogeln sich Unternehmen mit dem Vorwand aus der Pflicht, dass ihnen Parameter fehlen. Doch Systeme und Messgrößen stehen heute längst zur Verfügung. Ein weiterer, wichtiger Ansatzpunkt ist der Bereich Kommunikation. CSR-Aktivitäten werden noch viel zu sehr mit sozialen Events vermischt. In der lokalen Automobilbranche ist das noch häufig der Fall.
Inwiefern?
Die Autobauer konzentrieren sich zu sehr auf die Kostenfrage. Sicher: Das hängt auch mit der ständig latenten Krisenangst zusammen, die Argentiniens Wirtschaft plagt. Doch gerade die Einforderung nachhaltiger und sozial verantwortlicher Vorgaben seitens der Unternehmen würde die Stabilität innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette fördern.
Wo könnten die hier ansässigen deutschen Unternehmen noch mehr tun?
Die deutschen Firmen-Zentralen müssten von ihren argentinischen Niederlassungen viel mehr CSR-Initiativen und –Parameter einfordern. Das Rentabilitäts-Ziel steht noch zu sehr allein da. Ganz besonders aber ist es zwingend notwendig, dass die deutschen Headquarter die noch sehr zweideutige Auffassung von Ethik in ihren lokalen Betrieben ausmerzen. Zu sehr werden Korruption, Schmiergeldzahlungen oder auch die Verletzung umwelttechnischer Vorgaben hier noch als Lokalkolorit verstanden und als gegeben hingenommen. Da sollte und muss ein Umdenken stattfinden. Denn wenn ich solche Sachen sehe, ist es bei mir mit dem „Made in Germany" einfach vorbei.
Wirtschaft | CSR & Strategie, 01.10.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2014 - Green Tech als Retter der Erde erschienen.
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