In der Kathedrale der Hardware-Gläubigen
Ruhig und stoisch campieren sie vor ihrem „Gotteshaus“, sie trotzen Wind und Wetter, keine Mühe ist ihnen zu groß
Goldgrube für
Rohstoffe?
In einem Handy
sind Rohstoffe nur im Milligrammbereich verbaut, aber das Wuppertal-Institut
hat ausgerechnet: Im Jahr 2012 waren es 1.720 Kilogramm Gold, die in allen
ausrangierten 85,5 Millionen Handys in Deutsch- land zu finden waren – zu einem
damaligen Marktpreis von 54 Millionen Euro! Und inzwischen sind es bereits 106
Millionen Altgeräte. Doch Handys sind nicht nur eine Goldgrube: Über 60
Rohstoffe sind nötig, um sie zu produzieren. Kunststoffe, Keramik und Metalle
werden gebraucht, um unter anderem Leiterplatten, Gehäuse, Displays oder Akkus
zu fertigen. Dabei haben Kupfer und Silizium den
größten Anteil. Seltene Metalle sind ebenfalls im Spiel: Kobalt, Gallium,
Indium, Niob, Tantal, Wolfram und Platingruppenmetalle. Die EU-Kommission zählt
die letztgenannten Rohstoffe zu den 14 „kritischen Metallen". Prognosen zufolge
wird sich bis zum Jahr 2030 die Nachfrage nach einigen dieser Rohstoffe
gegenüber 2006 mehr als verdreifachen.
Was tun, wenn es
eng wird?
Droht nach dem
Krieg um Öl nun auch ein Krieg um „kritische Metalle" und andere Rohstoffe? Um
solche globalen Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist Recycling ein
wichtiger Weg. Doch in Deutschland steckt die Wiederverwertung von Handys in
den Kinderschuhen. Da erscheinen die gewaltigen Zuwächse bei Smartphones in
einem neuen Licht: 2013 wurden laut Bitkom 26 Millionen Smartphones in
Deutschland verkauft, der Umsatz stieg um 12 Prozent auf 8,4 Milliarden Euro.
Fast zwei Drittel aller 14 bis 29-Jährigen besitzen ein Smartphone.
Hängen wir in der
Wachstumsfalle?
Auch der
Wissenschaftler Ernst-Ulrich von Weizsäcker kommt zu dem Schluss: „Bisher ist
das Wachstum an einen steigenden Ressourcenverbrauch gekoppelt, weil wir keine ernsthaften Anstrengungen unternehmen, diese zwei Entwicklungen zur
trennen." Das liegt am Rebound- oder Bumerangeffekt: Selbst wenn Hersteller in
einem einzelnen Smartphone weniger „kritische Metalle" verbauen, steigt in
absoluten Zahlen der Rohstoffverbrauch erheblich, da die Geräte in immer
größeren Mengen auf den Markt geworfen werden. Der immer schnellere
Modellwechsel wird so zum Desaster für unsere Rohstoffvorräte.
Ex und hopp statt Cradle to Cradle
Wir jagen dem
neuesten iPhone hinterher, und nach 18 Monaten ist es so „veraltet", dass wir
es nur noch mit spitzen Fingern anfassen. Die nächste Generation verspricht
doch viel mehr – und so landen wir in einem „Konsumentenrad", das sich immer
schneller dreht. Fatal dabei: Wir brauchen tatsächlich das neueste iPhone!
Nicht, weil es so viel besser ist als das alte. Nein, wir brauchen es, um den
kurzfristigen Kitzel zu genießen, den uns das Marketing der Industrie verspricht. Der Kitzel ist zwar nur von kurzer Dauer, dann muss ihn ein neuer Reiz
ablösen, der wieder für Wohlbefinden sorgt. Klingt das nicht fast wie
Drogenkonsum? Gerade Apple gelingt es Jahr für Jahr, diesen Kitzel zu wecken –
besonders durch die quasi-religiöse Atmosphäre, die das Unternehmen um seine
Produkte schafft. Richard Gutjahr war für die „Krautreporter"
am Firmensitz in Cupertino dabei, als Apple das neue iPhone vorstellte: „Im Anschluss an
die Verkaufsshow dürfen Journalisten und VIPs die neuen Produkte anfassen. Die
für diesen Tag eigens auf dem Gelände errichtete „Hands-On-Area" steht da
wie eine Kathedrale.
Ein riesiges kubistisches Gebäude mit einer strahlend weiß getünchten
Haupthalle. Kein Staubkorn, nicht eine einzige Schraube ist im Inneren zu entdecken.
Nichts soll von den Produkten ablenken. Flankiert wird die Eingangshalle links
und rechts von zwei Seitenschiffen, wo die neuen iPhones und
Armbanduhr-Prototypen auf Altaren ausliegen. Über unseren Köpfen, dort wo in
Kirchen für gewöhnlich das Kruzifix hängt, thront ein schwarzes Apfel-Logo."
Der Apfel der
Verführung
Unser Verhalten
entspricht der These der „Nichtsättigung", die alle VWL-Studenten im ersten
Semester lernen müssen. Unsere Gier ist in der Theorie unersättlich. Materielle
Reize besitzen eine begrenzte Halbwertszeit und verlieren rasch ihren Wert, und
so sind wir als Konsumenten immer bereit für den nächsten „ultimativen Kick",
wie es Meinhard Miegel ausdrückt. Dafür beuten wir endliche Ressourcen so
gedankenlos aus, als hätten wir einen zweiten Planeten in der Hinterhand. Und
weil wir schon bei Religion und Kirche waren, stellt sich die Frage: Ging die
Sache mit der Gier, der Verführung und
dem Apfel nicht schon einmal blöd für uns Menschen aus? Sind wir auf dem Weg,
aus dem Paradies geworfen zu werden?
Doch zurück zur wertfreien Wissenschaft: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, da unser ökonomisches Wachstumsmodell an deutliche Grenzen stößt", fordert Prof. Thomas Fischer, Lehrbeauftragter für Führungspsychologie (Fachhochschule Nordwestschweiz). Seine These: Der Weg führt über die Selbstreflexion der Menschen, das Sein verwandelt sich durch Bewusstsein. Der umgekehrte Weg ist zum Scheitern verurteilt. „Mehr Glück durch mehr Güter" – diese Formel der Werbung sei eine Milchmädchenrechnung: Der „psychologische Grenznutzen" materieller Güter geht gegen Null, so Prof. Fischer.
Das neue Glück
Ganz anders
dagegen der „psychologische Grenznutzen" immaterieller Güter: „Ich war joggen",
erzählt der Manager, „und plötzlich
stand mir ein Reh gegenüber, Auge in Auge." Solche Erlebnisse können viel mehr
wert sein als das neueste iPhone – und sie kosten keinen Cent. Und ihr
Grenznutzen bleibt groß, denn kleine Ereignisse bringen immer wieder einen
hohen seelischen Gewinn. Die Natur ist voll davon – vom Schneckenhaus bis zum
Alpenpanorama. Vom Sonnen- untergang bis zu einem kleinen „Ich liebe Dich".
INGO LEIPNER
ist
Wirtschaftsjournalist. Er recherchiert Themen an der Schnittstelle
Ökonomie/Ökologie. Sein jüngstes Baby sind journalistische Schreibwerkstätten. Auf gute Gedanken kommt er auf seiner Waldhütte im Odenwald, wo er
unter zwei mächtigen Buchen kreative und erholsame Tage verbringt.
Gesellschaft | Megatrends, 01.01.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2015 - Grünes Reisen im Trend erschienen.
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