BIOFACH 2025

Mit Achtsamkeit in Führung: Meditation ist über ihren Entstehungskontext innerhalb der spirituellen Weltkulturen hinaus gewachsen.

Ihre Wirkung ist auch in pragmatischen Anwendungsbereichen wissenschaftlich belegt und bei den Spitzen der Wirtschaft angekommen. Sie lässt sich in den Arbeitsalltag integrieren und kann für Unternehmen von großem Vorteil sein.

Meditation wird als Methode des Stressmanagements oder der Entspannung, als Weg der persönlichen Entfaltung und Förderung des gesundheitlichen Wohlbefindens genutzt. Hochrangige Manager wie Norbert Reithofer (BMW) und Peter Terium (RWE) bekennen sich öffentlich als Meditierende.

Potenziale eröffnen statt Ergebnisse erzwingen
© ALTOP VerlagIm Prinzip ist kaum etwas einfacher als zu meditieren. Man nimmt eine sitzende, aufrechte Körperhaltung ein, schließt die Augen und tut – nichts. Doch dieses Nichts hat es in sich, besonders dann, wenn man sich fragt, wie kompatibel es mit dem Business ist: Dieses ist ja erfahrungsgemäß eher mit allem anderen als dem Nichts beschäftigt. Wie die Neurowissenschaften zeigen, stellen sich durch regelmäßiges Meditieren nachweisbar Wirkungen ein, wie eine bessere Konzentration, eine erhöhte Aufmerksamkeit oder auch eine verringerte Stressresonanz. Diese „Ergebnisse" kann man allerdings nicht erzwingen, denn das Meditieren selbst ist ein Akt der Absichtslosigkeit, des Loslassens. Dieses Paradox anzuerkennen und sich darauf einzulassen, ist nicht immer so einfach, wie es klingt. Meditation im Unternehmen sollte man deshalb eher als ein Experiment mit tendenziell offenem Ausgang begreifen. Wenn Menschen achtsamer werden, wenn sie beginnen, die äußeren Zwänge, die sie sich zu Eigen gemacht haben, zu durchschauen und wenn sich im darauf folgenden Loslassen ein neues Gefühl der Freiheit einstellt, dann eröffnen sich Möglichkeiten, die vorher nicht absehbar sind. In diesem Sinne ist Meditation fast ein Generalschlüssel zum noch nicht verwirklichten Potenzial von Unternehmen und ihren Mitarbeitern. Weitere wissenschaftlich nachweisbare Wirkungen wie mehr Kreativität, höhere Empathie oder bessere Gesundheit sind dann eher positive Begleiterscheinungen.

Vom Nutzen der Risiken und Nebenwirkungen
Immanenter Bestandteil von Meditation ist also ihre „Unberechenbarkeit". Das unterscheidet sie von einer guten Ingenieurleistung. In der meditativen Praxis ist es unvermeidlich, dass alte innere Programme und Fixierungen erkannt und infrage gestellt werden. Für ein starres System (und viele Unternehmen sind starre Systeme) wirkt das zunächst wie eine Bedrohung. Vor allem wenn Führungskräfte nicht mehr einfach nur funktionieren, sondern mit der Erkenntnis ihrer eigenen Authentizität anfangen, eigene Wege zu gehen oder eigene Vorstellungen zu entwickeln, die mit den im Unternehmen herrschenden Paradigmen nicht kompatibel zu sein scheinen. Diese Entwicklung zu mehr Freiheit für das Individuum könnte für ein festgefahrenes Kollektiv eine ziemliche Provokation werden – oder aber zu einer konstruktiven Erneuerung und Belebung führen. Deshalb sollten sich Unternehmen sehr wohl vorher überlegen, ob sie die Freiräume, die sich aus der Meditation entwickeln, ertragen können, oder – besser noch – bereit sind, diese zu nutzen.

Meditationsprogramme auf die Unternehmenskultur abstimmen
Für Unternehmen, die erwägen, Meditation in der Führungskräfteentwicklung, der Mitarbeiterweiterbildung oder im betrieblichen Gesundheitsmanagement einzusetzen, steht der betriebliche Nutzen einer solchen Maßnahme im Vordergrund. Dabei trifft die in der Wirtschaft vorherrschende Leistungs- und Profitorientierung auf den grundsätzlich eher explorativen Habitus meditativer Verfahren. Damit zwischen der betrieblich notwendigen Ergebnisorientierung und der prinzipiell ergebnisoffenen Haltung, die die Basis von Meditation bildet, eine konstruktive Wechselseitigkeit entstehen kann, ist es hilfreich, verschiedene Faktoren in die Betrachtung einzubeziehen. Die Unternehmenskultur mit ihren expliziten und impliziten Werten, ihren Leitbildern und Gepflogenheiten steckt beispielsweise einen Rahmen ab, an den Programme zu Meditation und Achtsamkeit andocken sollten.

Da Meditation eine individuelle Praxis ist, ist es zudem wichtig, die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von Führungskräften und Mitarbeitern zu betrachten, für die Achtsamkeitsprogramme entwickelt werden sollen. Hier kommen im betrieblichen Kontext nicht nur die ganz persönlichen Bezüge der betreffenden Personen zum Tragen, die sie als Individuen ausmachen, sondern selbstverständlich auch die konkreten Rollenbezüge, die sich aus ihren Aufgaben im Unternehmen ergeben. Eng verbunden mit diesem Aspekt ist die Frage, wie sich die durch Meditationsprogramme entstehenden Impulse in die berufliche Praxis integrieren lassen, damit sie in den konkreten Handlungskontexten eines Unternehmens Wirksamkeit entfalten können. Die folgenden Best practices vermitteln einen Eindruck, mit welchen Zielperspektiven und methodischen Settings Firmen bereits gute Erfahrungen gesammelt haben.

Gelassenheit in der Verwaltung durch progressive Muskelentspannung
Steigende Krankheitszahlen, ein verstärktes frühzeitiges Ausscheiden von Mitarbeitern in den Ruhestand sowie die wahrnehmbar wachsenden Anforderungen im Tagesgeschäft veranlassten die hessische Verwaltung, ein konsistentes Programm zur gesundheitlichen Prophylaxe zu entwickeln. Methodisch fiel die Wahl auf die Progressive Muskelentspannung und hier auf ein von Dr. Cornelia Löhmer und Rüdiger Standhardt entwickeltes Multiplikatorenmodell, bei dem Mitarbeiter zu Kursleitern ausgebildet werden. Bis 2013 wurden auf diesem Wege mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung geschult.

Die körperbezogene Schulung der individuellen Wahrnehmungsfähigkeit erleichtert es, im Arbeitsalltag besser zu erkennen, wann man in einen Zustand der übermäßigen Anspannung gerät. Praktizieren Arbeitende in solchen Momenten aktiv Muskelentspannung, findet nicht nur der Körper zu einer neuen Balance, sondern auch der Geist folgt dieser inneren Bewegung. Bei den Kursleitern sowie den Teilnehmenden der in den Ämtern durchgeführten Kurse zeigt sich eine größere Gelassenheit in Stresssituationen. Die Mitarbeiter fühlen sich eher in der Lage, selbstverantwortlich ihre gesundheitliche Balance aufrechtzuerhalten. Das Kursangebot während der Arbeitszeit integriert sich gut in die regulären Arbeitsabläufe, denn die Teilnehmenden erledigen ihre Arbeit anschließend überwiegend mit mehr Freude und Elan. Dienstvorgesetzte profitieren von stärker selbstverantwortlich handelnden Mitarbeitern und rufen deren neu erworbene Kompetenzen zum Teil sogar aktiv ab. Oft werden Sequenzen der Progressiven Muskelentspannung in Schulungs- oder Besprechungssituationen integriert.

Mindfulness-Based Stress Reduction
Die Sportmarke PUMA hat in der Konzernzentrale Herzogenaurach ein Wellbeing-Programm entwickelt, das alle Mitarbeiter mit verschiedenen Bausteinen dabei unterstützt, eine ausgeglichene Work-Life-Balance zu etablieren und einseitigen Belastungen im Job vorzubeugen. Im Bereich des mentalen Wohlbefindens bietet das Unternehmen für Mitarbeiter aller Ebenen die Möglichkeit der Teilnahme an Kursen zur Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) an, um diese zu befähigen, ein individuelles Stressmanagement zu entwickeln.

In je dreistündigen Kurseinheiten werden die MBSR-typischen Methoden Body Scan, einfache Yoga-Übungen sowie Meditations- und Achtsamkeitsformen in Stille vermittelt. Die Kursteilnehmer werden gebeten, die vermittelten Methoden täglich für 20 bis 25 Minuten in Eigenregie zu üben, um damit vertraut zu werden. Diese reduzierte Anforderung (in konventionellen MBSR-Kursen gehören 45 Minuten tägliche Praxis zur Selbstverpflichtung der Teilnehmenden) soll sicherstellen, dass die Mitarbeiter sich nicht überfordert fühlen und auch in Zeiten erhöhter beruflicher Präsenz ihre tägliche Meditation beibehalten können.

Resilienztraining für Führungskräfte
Speziell für Führungskräfte wurde ein Resilienzprogramm aufgesetzt, das Managern Wege aufzeigt, unter den Vorzeichen besonderer beruflicher Herausforderungen die Grenzen der eigenen Belastbarkeit zu erkennen und zu wahren und Führungsstile zu entwickeln, die die Integrität der gesundheitlichen und psychosozialen Befindlichkeit der Mitarbeiter unterstützen. In dem zweitägigen Resilienz-Training für die PUMA-Führungskräfte geht es darum, die innere Stärke und Widerstandskraft sowie die Anpassungsfähigkeit an Veränderungen zu fördern. Auf Basis der Erstellung eines eigenen Resilienz-Profils können die Führungskräfte erkennen, in welchen Feldern sie bereits gut aufgestellt sind und wo Lernmöglichkeiten liegen. So lernen sie, die eigene Steuerungsfähigkeit im Berufsalltag zu verbessern, um zu einer gesunden Selbstführung und einer gesunden Führung der Mitarbeiter zu finden. Auf Basis konkreter Situationen aus dem Business werden Herausforderungen identifiziert und Handlungsalternativen entwickelt. Die Achtsamkeitsübungen erleichtern es, kognitive und emotionale Strategien zu erlernen, um mit ambivalenten Gefühlen wie Resignation und Zuversicht, Anspannung und Gelassenheit, souverän und angemessen umzugehen. Insgesamt trägt das Programm zu einer Sensibilisierung für mögliche Stressoren im Unternehmensalltag bei und befähigt die Führungskräfte, eine Führungskultur zu entwickeln, die den gesundheitlichen Ressourcen der Mitarbeiter Rechnung trägt.

Achtsamkeitsmethoden für Vertriebsmanager
Die Beratergruppe Neuwaldegg entwickelte für einen international operierenden Weltmarktführer der Chemiebranche mit 110.000 Mitarbeitern ein „Sales Leader Programm" für Vertriebsmanager, das Achtsamkeitsmethoden nutzt. Im Zentrum der 4-tägigen Weiterbildung steht die Vertiefung der vier emotionalen Kernkompetenzen Selbst-Bewusstheit, Selbst-Management, soziale Bewusstheit und Beziehungs-Management. Das Programm folgt wesentlich der unternehmensstrategischen Zielsetzung, die Verkaufs- und Führungsfähigkeiten der Vertriebsmitarbeiter durch die Erweiterung ihrer emotionalen Kompetenzen zu stärken. Es wird der Frage nachgegangen, wie Wahrnehmungsfilter auf die Führungspraxis wirken und wie sich der Fokus der eigenen Aufmerksamkeit steuern lässt. Außerdem vermittelt das Training, wie sich Verhaltensmuster wandeln lassen und wie Führungskräfte ihre Intuition schärfen können. Weitere Bereiche sind Zeit-Management, das Setzen von Prioritäten und persönlichen Zielen, authentische Führungsqualitäten und die Fähigkeit, schwierige Gespräche zu führen. Da Meditation für viele Menschen immer noch mit Vorurteilen belegt ist, verzichtet das Programm auf eine spirituelle Wortgebung und spricht stattdessen von einer „Praxis der Selbst-Bewusstheit". Die Einbettung der Achtsamkeitsmethodik in wissenschaftliche Kontexte und das Beziehen der praktischen Übungen auf konkrete Businesssituationen erleichtert es den Teilnehmern, sich auf eine neue Erfahrungsdimension einzulassen. Insgesamt zeigt das Programm, dass Achtsamkeitsmethoden im Business die Wirkung bereits gängiger Tools gezielt verbessern können und darüber hinaus die Selbstwahrnehmung von Führenden und damit den Aspekt der Persönlichkeit in der Führung nachvollziehbar machen.

„Achtsamkeit im Arbeitsalltag"
Das von der Kalapa Academy entwickelte und wissenschaftlich evaluierte Modellprojekt „Achtsamkeit im Arbeitsalltag" vermittelt Methoden der Achtsamkeit im Kontext konkreter businesspraktischer Bezüge. Ziel ist es, Führungskräften und Mitarbeitern Wege aufzuzeigen, wie sie durch meditative Elemente konkrete Aufgaben im Geschäftsleben besser bewältigen können.

Das Programm beinhaltet neben Einführungen und einer abschließenden Veranstaltung acht themenspezifische Module mit jeweils 2,5 Stunden Dauer, die in den Unternehmen unterrichtet werden. Jedes Modul stellt eine direkte Beziehung zwischen wissenschaftlichen Sachverhalten, konkreten Anforderungen der Arbeitswelt und methodischen Lösungsansätzen her. Zu den behandelten Themen zählen – immer unter den Vorzeichen der Achtsamkeit – unter anderem der Umgang mit E-Mails, Gesprächsführung, Zeitmanagement, Emotionen, Feedback, Meetings und Entscheidungen. In den wissenschaftlichen Tests zeigt sich, dass sich bei den Übenden im Kursverlauf die persönliche Anspannung und Stressbelastung deutlich gesenkt haben, ihre Konzentrationsfähigkeit gestiegen und ihre Fehlerrate beim kognitionspsychologischen Test um 25 Prozent zurückgegangen ist. Die Teilnehmenden erleben im Alltag deutlich weniger Sorgen und betrachten die täglichen Anforderungen ihres Berufs gelassener als vor dem Kurs. Diese Haltung der Offenheit und Akzeptanz wirkt nach Ansicht vieler Teilnehmender auch ins Unternehmen, da Kollegen, die nicht am Programm teilgenommen haben, im Wirken der Übenden im Berufsalltag positive Veränderungen wahrnehmen. Einen ausführlichen Bericht zum Modell­projekt finden Sie in forum Ausgabe 3/2014.

Absichtslosigkeit mit Anfängergeist
Die dargestellten Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie vielfältig sich Meditation und Achtsamkeit im Unternehmenskontext nutzen lassen und welche Wirkungen dabei erzielt werden können. Möglicherweise kann es gerade deshalb sehr sinnvoll sein, die Thematik nicht allein mit dem in der Arbeitswelt üblichen linearen Denken in Ursache und Wirkung anzugehen. Strategische Erwägungen sind wichtig, aber nicht alles. Erst wenn das Management sich dem Prozess des Wandels, der durch Meditation möglich wird, mit einer Form der Absichtslosigkeit, mit einem „Anfängergeist", wie es im Zen heißt, wirklich anfreunden kann, und nicht bereits im Vorhinein versucht, die möglichen Resultate als Ziele festzulegen, dann kann sich das außerordentliche Potenzial, das in den Führungskräften selbst und ihren Mitarbeitern schlummert, in seiner ganzen Fülle entfalten. Möge die Übung gelingen.

www.identityfoundation.de | www.zenforleadership.com | www.meditation-wissenschaft.org

Paul J. Kohtes
ist Gründer von Europas heute umsatzstärkster PR-Agentur Kohtes Klewes (heute Ketchum Pleon) in Düsseldorf. Vor 30 Jahren entdeckte er die Zen-Meditation für sich und leitet heute Seminare zu „Zen for Leadership" und coacht Führungskräfte.


Lifestyle | Gesundheit & Wellness, 01.01.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2015 - Grünes Reisen im Trend erschienen.
     
        
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