Chemikalieneinsatz in der Lieferkette

Wie viel Einfluss haben Textilunternehmen?

Giftige Kleidung ist ein Dauerbrenner in den Medien. Noch gefährlicher als das Tragen der Kleidung ist aber deren Herstellung. Die Produktion belastet die Umwelt – nicht bei uns, sondern dort wo Gesetze und Auflagen wenig beachtet werden.
 
Oft herrschen katastrophale Zustände in den Färbereien und Produktionsbetrieben. © SystainGreenpeace hat das Thema Chemikalieneinsatz in der Textilproduktion mit seiner ‚Detox-Kampagne‘ wieder in die Öffentlichkeit gebracht. Zahlreiche Studien belegen, welche Mengen an gefährlichen Chemikalien in die Umwelt gelangen. Etliche Organisationen fordern nun, auf Schadstoffe in der Textilproduktion zu verzichten.
 
Aber was können die Markenhersteller in den Industrienationen tun? Sie selbst haben die Produktion meist outgesourct, kaufen die Kleidung komplett an, sind also nicht mehr „Hersteller" im eigentlichen Sinn. Die Produktion ist an Auftragsfertiger in Niedriglohnländern vergeben; die deutsche Bekleidungsfirmen sind daher „fabriklos": Sie konzentrieren sich auf Design, Markenführung und Vertrieb. Die Rohstoffe und so genannten textilen Vorprodukte stammen aus vielen Teilen der Welt – viele Akteure sind beteiligt. Es gibt Zulieferer, Agenten, Importeure, Produktionsstätten und deren Unterauftragnehmer – also wiederum andere Produktionsstätten. Lieferketten und Geschäftsbeziehungen sind meist komplex und wenig durchschaubar. Kaum ein Markenunternehmen hat heute einen vollständigen Überblick darüber, welche gefährlichen Chemikalien unter welchen Produktionsbedingungen für seine Produkte verwendet werden. Einige Brancheninitiativen setzen sich mit diesem Thema auseinander, etwa die ZDHC (www.roadmaptozero.com) und die CPI2 (www.cpi2.org), ins Leben gerufen vom deutschen Textil- und Schuhhandel, unter Mitwirkung des Umweltbundesamtes. Die unterschiedlichen Unternehmens- und Beschaffungsstrukturen erfordern aber weitere Aktivitäten in jeder Firma. Dem Einkäufer helfen Label wie Bluesign: Das ist ein Standard vor allem für die Produktions- und Arbeitsabläufe bei der Textilveredlung. Darunter versteht man Färben, Bedrucken oder Beschichten von Textilien. Bei Bluesign gibt es ausführliche, öffentlich zugängliche Listen mit kritischen oder verbotenen Chemikalien und zulässigen Grenzwerten. Auch GOTS, der Global Organic Textile Standard, hat strenge Kriterien. Er gilt für die Verarbeitung von Textilien aus biologisch erzeugten Naturfasern und definiert umwelttechnische Anforderungen entlang der gesamten textilen Produktionskette; zusätzlich umfasst er Sozialkriterien. Nur Textilprodukte, die mindestens aus 70 Prozent biologisch erzeugten Naturfasern bestehen, können gemäß GOTS zertifiziert werden. Alle chemischen Zusätze, wie Farbstoffe und Hilfsmittel, müssen bestimmte umweltrelevante und toxikologische Kriterien erfüllen. Nur: Eine weite Verbreitung haben diese Standards bisher nicht gefunden. Außerdem reicht die Nutzung von Labeln allein nicht aus – Unternehmen müssen ergänzende Maßnahmen zur Verbesserung des Chemikalienmanagements in ihrer Lieferkette ergreifen.
 
Die Belastungen für Mensch und Umwelt vor Ort sind extrem, auch wenn die Produkte dann weitgehend schadstofffrei in unseren Regalen liegen. © Systain
Was passiert vor Ort?
Den Einsatz gefährlicher Chemikalien schon am Produktionsstandort zu verhindern sollte heute Teil der unternehmerischen Verantwortung sein, denn Unternehmen müssten Einsatzorte und Verwendung der Schadstoffen in ihrer Lieferkette kennen und unter Umständen auch verantworten. Viele Unternehmen definieren heute durch sogenannte ‚Restricted Substances Lists’ (RSLs), welche Chemikalien bis zu welchem Grenzwert in ihren Endprodukten vorkommen dürfen. Was den Chemikalieneinsatz in der Produktion angeht, verlangen die meisten Unternehmen von ihren Lieferanten lediglich, dass sie die Vorschriften einhalten, die in ihren Heimatländern gelten. Und das ist meist weniger als hierzulande. Während beispielsweise in der EU die als Tenside genutzten Nonylphenolethoxylate (NPE) in der Bekleidungsherstellung gesetzlich verboten sind und für Importprodukte bereits seit 2005 ein Grenzwert von 0,1% gilt, wird in Ländern außerhalb der EU die Verwendung von NPEs als Tenside in Waschmitteln von Unternehmen weiterhin geduldet. Die Stoffe können in der Produktion eingesetzt und dann ausgewaschen werden; Folge: Im Endprodukt sind sie nicht mehr nachweisbar, die Kriterien gelten als erfüllt. Nur gelangen die ausgespülten NPEs in den Wasserkreislauf am Produktionsort. Es entstehen hormonell wirksame Schadstoffe, die sich in der Nahrungskette anreichern. Deshalb muss das Chemikalienmanagement in den jeweiligen Ländern und vor allem vor Ort bei der Produktion verbessert werden.
 
Saubere Produkte – saubere Produktion?
Grenzwerte, die festlegen, in welcher Konzentration einzelne Chemikalien im fertigen Produkt enthalten sein dürfen, verhindern nicht, dass diese Chemikalien in der Herstellung genutzt werden und später im Abwasser landen. Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst moderne Abwasserbehandlungsanlagen die Einleitung einiger Schadstoffe nicht verhindern. Der Einsatz von Chemikalien muss daher gezielt gesteuert und persistente, giftige Substanzen durch ungefährliche Alternativen ersetzt werden. Dafür wären Maßnahmen im Herstellungsprozess selbst notwendig. Eine könnte eine „Manufacturing Restricted Substances List" sein, die den Einsatz gefährlicher Substanzen im Herstellungsprozess reguliert. Eine weitere Maßnahme wäre eine Positivliste, die nur bestimmte Einsatzstoffe zulässt. Solche Maßnahmen müssen in den Fabriken verstanden und erfüllt werden. Dafür sind Auditsysteme und Schulungen vor Ort nötig. Deutsche Bekleidungshersteller haben zwar mit komplexen Produktions- und Beschaffungsstrukturen zu kämpfen, aber sie können ihre Zulieferer wählen und das Design ihrer Produkte bestimmen. Das gibt ihnen auch die Möglichkeit, die Verwendung von Chemikalien im Fertigungsprozess zu beeinflussen. Ein Universalrezept, das zum Erfolg führt, gibt es nicht. Jedes Unternehmen muss seine Strategie zum Umgang mit Chemikalien in der Lieferkette individuell festlegen.
 
Marijke Schöttmer ist Textilingenieurin und seit 2012 als Consultant bei Systain tätig. Durch Berufserfahrung im In- und Ausland bei Markenunternehmen, Prüfinstituten und NGOs hat sie Erfahrung in allen Bereichen der textilen Wertschöpfungskette. Ihr fachlicher Schwerpunkt liegt im Bereich Klima- und Umweltschutz insbesondere das Thema Chemikalieneinsatz in der Textilproduktion.
 

Lifestyle | Mode & Kosmetik, 01.04.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2015 - Nachhaltige Mode erschienen.
     
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