Kunst und Musik als Botschafter

Der internationale Spitzenmusiker Torsten de Winkel will mit ­seiner ­Musik und seiner Bimbache openART Initiative Räume schaffen für neue Erfahrungen.

forum befragte den Visionär, wie Kunst einen ­zukunftsfähigen Lebensstil befördern kann.
 
© Bimbache openARTDer ­Ausnahmegitarrist und ­Querdenker Torsten de Winkel, musikalischer Partner vieler Grammy- und Echo-Preisträger und lange aktiv in den Kreisen um Pat Metheny, Miles Davis oder Santana, widmet sich seit den 90er-Jahren der Entwicklung von interdisziplinären und interkulturellen Netzwerken. Er ist Mitinitiator und künstlerischer Leiter der Weltbegegnungsfestivals von Bimbache openART, einer globalen Initiative, deren Herz auf der kanarischen Nachhaltigkeitsinsel El Hierro schlägt.
 
Trägt Kunst Verantwortung, sich an der Gestaltung der Gesellschaft aktiv zu beteiligen?
Nicht per definitionem. Aber im Angesicht der allgegenwärtigen Probleme, Pathologien und Konflikte hat eigentlich jedes menschliche Wesen die Verantwortung, sich an der Gestaltung der Gesellschaft aktiv zu beteiligen. Und dies in erhöhtem Maße, wenn man einen besseren Zugang zu medialen Sprachrohren oder größeren Communities als der Durchschnittsmensch hat. Und das gilt insbesondere auch für Künstler.
 
Wie kann die Kunst das tun?
Da muss man zunächst fragen, ob es überhaupt möglich ist, zur Verbesserung der Conditio Humana, der Lebensumstände der Menschheit, beizutragen. Vielleicht sind die Faktoren, die dieselben bedingen, in ihrer Summe sehr viel mächtiger sind als unsere Fähigkeit, deren Mechanik ausreichend zu verstehen und zu beeinflussen. Ich persönlich denke, man muss es dennoch versuchen – mit viel intellektueller Aufrichtigkeit und im Bewusstsein, dass all jene, die es bisher versucht haben – ob Religionsstifter, politische Ideologen oder was auch immer – alle miteinander weitestgehend gescheitert sind.
 
Nichtsdestotrotz kann man aber Folgendes feststellen: Der kompetitive, aggressive und – ich würde sagen – narzisstische Geisteszustand, den unsere Kultur uns grundsätzlich anerzieht, führt zwangsläufig zu dualistischem Denken, Feindbildern, Vorwärtsverteidigung – zu Leiden und Konflikten, wohin man schaut. Und so macht uns unsere Kultur, die die Produktivität höher schätzt als das Wohl jener Menschen, die produzieren sollen, zu ewig Süchtigen nach Zukunft und Expansion. Daher rühren im tiefsten Grunde auch unsere ökologischen und zunehmend auch unsere soziokulturellen und psychischen Probleme.
 
Laut WHO werden psychische Erkrankungen in wenigen Jahren den Herz-Kreislauferkrankungen und dem Krebs den Rang als größte globale Gesundheitsgefahr ablaufen. Zugleich gibt es Erkenntnisse aus der Neuro- und Gehirnwissenschaft der vergangenen 30 Jahre, dass sogar bei Affen die allgemeine Glücksfähigkeit durch egalitäre und kooperative Kultur wesentlich gesteigert wird! Also kann man daran mitarbeiten, an immer mehr Orten Bedingungen zu schaffen, die Menschen unterschiedlichster geografischer, sozialer, subkultureller Herkunft erlauben, win-win Situationen zu erfahren und glücklich zu sein. Man kann Low-Judgement-Zonen entwickeln, in denen Menschen sich auf Augenhöhe begegnen und produktiv zusammenarbeiten und diese Erfahrung weiter verbreiten. Künstler und die Kunst können hier Experimentierräume bieten und beispielhafte Arbeit leisten!
 
Welche guten Beispiele für Kunst und gesellschaftliches Engagement fallen Dir ein?
Die Kombination von Musik, Erkenntnissen aus Psychologie, Philosophie und das, was El Hierro an Besonderem bietet, ist der Schlüssel zum Erfolg. Events und Performances sind ein schönes Nebenprodukt, Prozess ist alles. © Bimbache openARTDaniel Barenboims West-Eastern Diwan Orchestra leistet beeindruckende und praktische Arbeit in der Zusammenführung von israelischen und palästinensischen Jugendlichen. Es lädt zu gemeinsamer Arbeit ein und ist zugleich Forum für die unbedingt nötigen Auseinandersetzungen und Diskussionen. Der gültige internationale Standard der Diplomatie – schweigen und lächeln sowie Auseinandersetzungen vermeiden – führt ja zu nichts. In all’ den vielen Kulturen, in denen die verbale Kommunikation von Negativem grundsätzlich vermieden wird, muss man die nonverbalen Codes kennen, um sich wirklich zu verstehen. Sonst ist es unmöglich, über die subkulturellen und sozialen Grenzen innerhalb der Gesellschaft hinweg und schon gar nicht interkulturell eindeutig zu kommunizieren. Und das produziert mehr von dem, was die Psychologie erlernte Hilflosigkeit nennt und als Grundmechanismus der Depression identifiziert.
 
Dann möchte ich noch Stefan Schmidts Berliner Straßenchor und viele andere Projekte aufzählen, die rund um die Welt wichtige Inhalte ins Bewusstsein des Publikums bringen, oft nicht ohne Risiko. Und natürlich unser Projekt Bimbache openART, das eine sehr umfassende Definition von Nachhaltigkeit umzusetzen versucht. Hier arbeiten seit zehn Jahren führende Künstler aus den unterschiedlichsten Stilen und Kulturen nicht nur miteinander, sondern auch mit Amateuren, Kindern, Künstlern mit körperlichen, geistigen und psychischen Behinderungen, mit Wissenschaftlern, Philosophen, Vertretern spiritueller Traditionen etc. und schaffen immer wieder kleine Wunder.
 
Oft ist das wenig spektakulär und doch von profunder Substanz. Wie einst die stille Revolution in Gandhis Ashram, in dem Vertreter aller Kasten und Religionen miteinander nicht mehr taten, als das tägliche Leben zu teilen. Man muss unbedingt die Falle vermeiden, eine rein akademische Veranstaltung zu sein und froh den Gleichgesinnten zu predigen. Deswegen wollen wir uns gerade auch all’ jenen mitteilen, die nicht die geringste Ahnung haben, warum wir das alles machen und erklären warum da etwas Positives und Substanzielles passiert. Wenn es gelingt, Nachbarn und lokale Community zu integrieren, ist man auf dem richtigen Weg.
 
Wie verbindest Du Kunst und Engagement?
Ich genieße das Privileg, Gelegenheiten zu haben, mit vielen Menschen zu kommunizieren – in Interviews, auf der Bühne. Und ich habe mich schon immer in der Verantwortung gefühlt, dieses Privileg, wann immer möglich, dazu zu „missbrauchen", die Dinge einzuflechten, die ich oben angesprochen habe. Über die Jahre hat das dazu geführt, dass ich gelegentlich auch das Ohr von Politikern und NGOs habe, so wie beispielsweise auf dem Kopenhagener Klimagipfel 2009. Ich hoffe, hier oder da ein Sämlein gepflanzt zu haben und werde dies auch weiter tun. Aber manchmal sind es die kleinsten Gesten, die große Wirkung haben. Einen der für mich schönsten Momente mit dem Bimbache openART Ensemble gab es, als wir auf einem Kulturfestival in der Mitte des Konzertes eine junge spastisch gelähmte und an den Rollstuhl gefesselte Sängerin zu einem gemeinsamen Lied mit den internationalen Virtuosen auf die Bühne baten, das dann auch alle Zuhörer musikalisch tief berührte. Dieses eine Mal musste ich nicht ein einziges Wort darauf verwenden, unser Projekt zu erklären.
 
Was hat das mit der Insel El Hierro zu tun?
El Hierro ist UNESCO Weltbiosphärenreservat und eine ganz besondere Kanareninsel mit dem ehrgeizigen Vorhaben, weltweit die Erste zu sein, die ihren Energiebedarf zu 100 Prozent erneuerbar deckt. Es ist schön, auf El Hierro mit Bimbache openART als global ausgerichtetem künstlerischen und soziokulturellen Projekt dazu beitragen zu können, eine Art Leuchtturm für die Menschheit, einen Showcase für "Better Practices” zu kreieren.
 
Welche Kunstform ist als Botschafter besonders geeignet?
Mit Hilfe der Kunst unmöglich Geglaubtes angehen: Der Musiker Torsten de Winkel möchte Räume schaffen für neue Referenz-Erfahrungen. 'Man muss gar nicht verstehen, was mit einem passiert, man muss neue und bessere Referenzen dafür anwerben, was möglich ist, und wie ein gesunder Zustand sich anfühlt.' © Bimbache openARTAlle und keine :). Das Interesse der Medien ist wichtig, aber dieses hängt weniger von der Kunstform als vom sozialen oder kommerziellen Status des Künstlers ab. Es gibt das vielgehörte Klischee, Musik sei die internationale Sprache, aber das ist eine eher oberflächliche Behauptung. Musik ist genau wie alles andere nicht nur Ausdruck, sondern auch Werkzeug der psychischen Bedürfnisse des Menschen.
 
Ich kann mich nur zu gut erinnern, wie man als Teenager in der Schule dem Geschmackszwang unterlag, wenn man zu irgendeiner Gruppe gehören wollte; und wie so oft war das, auf was man verächtlich herabzuschauen und das man abzulehnen hatte, viel wichtiger als das, was man gemeinsam mochte. In dieser Beobachtung steckt ein Schlüssel für so vieles, was um uns herum passiert.
 
Die meisten Menschen erfahren schon als Teenager das, was die Psychologen erlernte Hilflosigkeit nennen, und verlieren ihre Fähigkeit, authentisch zu fühlen. Sie wird ersetzt durch einen völlig relativen Beurteilungsapparat, der andere Menschen ständig nach der Kongruenz ihres Verhaltens mit den vorherrschenden und internalisierten Regeln be- und verurteilt. Dies kann, wie wir aus unserer Geschichte wissen, leicht zu absolut ALLEM missbraucht werden. Und wir verurteilen uns ja sogar ständig selbst und machen uns selbst leiden, weil wir Angst haben, irgendwelchen Normen nicht zu genügen. Soll heißen: Was immer geeignet ist, dieses kulturell über die Generationen immer wieder weitergereichte Joch von uns zu nehmen und, wie Lincoln sagte, die "besseren Engel unserer menschlichen Natur” zu befördern, sollte genutzt werden, unser menschliches Bewusstsein weiter zu entwickeln.
 
Der Wissenschaftler Csikszentmihalyi brachte es in seinem Buch "Flow” auf den Punkt: Kreativität lässt sich leichter durch eine Veränderung äußerer Bedingungen fördern als durch den Versuch, das Individuum zu kreativerem Denken anzuregen. Also lasst uns Teil eines weniger aggressiven, urteilenden, kompetitiven Environments sein, im Kleinen oder im Großen; lasst Kunst mehr sein als nur eine weitere Karotte, der wir hinterherhecheln in unserem ewigen Sehnen nach Erlösung von dem Zustand, den unsere Kultur in uns hinterlässt. Wenn sie inklusiv und nicht exklusiv ist, ist jede Kunstform und -disziplin geeignet – am meisten aber vielleicht die Begegnung zwischen ihnen, wenn sie im richtigen Geist geführt wird. Geduld und die Bereitschaft zu offener und auch verbaler Kommunikation sind auf jeden Fall oberste Tugend.
 
Torsten, danke für das Gespräch
 

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.04.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2015 - Nachhaltige Mode erschienen.
     
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