Sir Vival
Auf so eine Idee kann nur ein Abenteurer kommen. Einer, der die Herausforderung sucht.
Rüdiger Nehberg will das Recht der Frauen nach Mekka tragen und eine leidbringende Tradition aus der Welt schaffen.

Weil Pragmatismus oft wenig mit dem Sinn des Lebens zu tun hat, wurde der Bäcker früh zum Reisenden. Da, wo er Grenzen erfahren konnte, wollte er hin. Mit 17 Jahren fuhr er mit dem Fahrrad nach Marokko, um die Kunst der Schlangenbeschwörung zu lernen.
Was dann kam, kennen Sie: Vorträge, Survivalkurse und Bücher mit Titeln wie Überleben ums Verrecken, um nur eines von 28 nennen. In den verträumten bundesdeutschen 1980er-Jahren traf er damit den Geschmack der Massen. Und aus den Abenteuern wurde ein Geschäft. 1990 verkaufte Nehberg seine Konditorei und verlegte sich ganz aufs eigene Überleben.
Doch auch die hauptberufliche Suche nach dem Abenteuer war noch nicht das Richtige. "Ich war auf der Suche nach einer echten Lebenserfüllung", erzählt Nehberg. Als er 1980 zum Augenzeugen des Bürgerkrieges bei den Yanomami-Indianern in Brasilien wurde, bekam seine Arbeit langsam einen tieferen Sinn. "Ich fühlte mich verpflichtet, zu helfen, als ich spürte, dass die Betroffenen nicht in der Lage waren, sich selbst zu helfen", beschreibt er das Gefühl von damals. "Hilfe konnte nur von außen kommen. So, wie es der Hilfe der Alliierten bedurfte, um die Deutschen von den Nazis zu befreien."
"Der Islam ist nicht dialogfähig", hörte Nehberg immer wieder
Aus Mister Survival war Sir Vival geworden. Er kämpfte nicht mehr nur ums eigene Überleben, sondern für das Recht auf Leben anderer. Seitdem geht das, was er tut, über den Abenteurer Rüdiger Nehberg hinaus. In Brasilien hat er sein Ziel schon erreicht. Er nennt es einen "annehmbaren Frieden zwischen den Yanomami-Indianern und der brasilianischen Regierung".
Das ändert nichts daran, dass manche ihn für einen Verrückten halten. Denn es gibt längst eine neue Mission für den 78-Jährigen. Nehberg will die Verstümmelung von Mädchen und jungen Frauen beenden.
Es ist ein Tabuthema, vielleicht weil es so schrecklich ist, dass sich viele lieber abwenden. Vor allem in Afrika, aber auch im Jemen oder etwa in Indonesien, ist diese alte Tradition weit verbreitet. Es passiert alle elf Sekunden, obwohl an vielen Ecken und Enden von Nichtregierungsorganisationen und Regierungen dagegen angekämpft wird.

Bereits in den 1970er-Jahren bereiste Nehberg zweimal Äthiopien. Die Danakilwüste und der Blaue Nil haben sich ihm ins Gedächtnis eingeschrieben. "Das sind unauslöschliche Bilder", erinnert er sich. "Monatelang allein durch ein ursprüngliches Afrika, die archaische Lebensweise, aktive Vulkane, Blutrache und Überfälle. Und genau dort engagieren wir uns heute mit unserer Organisation Target. Manchmal frage ich mich schon selbst: Hab ich sie noch alle?"
Sir Vival glaubt an eine schöpferische Kraft, vor allem aber daran, dass sich Visionen realisieren lassen. "Niemand hatte mir und Annette zuvor eine Chance eingeräumt. 'Der Islam ist doch gar nicht dialogfähig', mussten wir uns anhören", berichtet er von den Reaktionen auf den Plan, den er und seine Frau gefasst haben.
FGM gibt es nicht nur in islamisch geprägten Gebieten. Auch in den christlichen Regionen Äthiopiens etwa ist sie verbreitet. Doch gerade Moslems begründen die Tradition häufig mit dem Koran.
Darin sah Rüdiger Nehberg eine Chance. Und er startete ein ungewöhnliches Projekt: Er holte die Religionsführer Afrikas an einen Tisch, um über das Thema zu beraten. Sie wurden zu Fürsprechern seiner Sache. Eine internationale Gelehrtenkonferenz in der Al Azhar-Universität in Kairo brachte den Durchbruch. Die höchsten islamischen Glaubensführer der Welt erklärten den Brauch der Verstümmelung zu einem "strafbaren Verbrechen gegen höchste Werte des Islam" und erließen eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten. Seitdem ist die schreckliche Tradition eine verbriefte Sünde.
Transparente aufhängen mit dem saudischen König

Target, die Hilfsorganisation der Nehbergs, verteilt das Buch in den verschiedensten Ländern und immer wieder sucht das Paar die Chance zu Gesprächen mit möglichen Mitstreitern vor Ort. Und sie stoßen auf viele offene Ohren. Nehberg wäre nicht er selbst, wollte er nicht noch viel höher hinaus: "Die größte Hilfe wäre ein Kontakt zum saudischen König, um ihm in aller Demut Vorschläge zu unterbreiten. Mit seinem Engagement ließe sich FGM sehr schnell beenden. Und das würde dem Islam ein neues Ansehen in der Welt verleihen", sagt Nehberg.
Er meint das sehr ernst. Und mit seinen Visionen ist er schon ziemlich weit gekommen. So ein Abenteurer lässt sich nicht so leicht kleinkriegen.
Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie eines Tages Rüdiger Nehberg sehen, wie er auf dem Heiligen Platz in Mekka zusammen mit dem saudischen König und vier Millionen Pilgern aus aller Welt ein Transparent aufhängt: "Weibliche Genitalverstümmelung ist mit dem Koran und der Ethik des Islam unvereinbar. Sie ist Sünde." Vielleicht sitzt ihm dabei sogar eine Spinne auf dem Kopf.
Von Karin Burger
KARIN BURGER
ist seit 10 Jahren Inhaberin der Redner-Agentur "team karin burger" in München.
Als freie Journalistin engagiert sie sich leidenschaftlich für die Themen Nachhaltigkeit, Soziales Engagement und Bildung.
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.04.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2014 - Voll transparent, voll engagiert erschienen.

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