Mit System zum Erfolg

Interview mit dem Parteigründer von NEOS, Matthias Strolz, über die innovativen Wege seiner liberalen österreichischen Partei.

Die Partei NEOS wurde im Oktober 2012 gegründet und erreichte bereits bei der Nationalratswahl im Jahr 2013 sensationelle 5,0 Prozent der Stimmen. Die Schlüssel zum Erfolg dürften unter anderen systemische Aufstellungen und eine konsequente Organisationsentwicklung sein. forum-Autor Peter Klein sprach mit dem Parteigründer.

Peter Klein: Sie nennen die NEOS die "erste systemische Partei". Was bedeutet das?
Matthias Strolz: Anhand eines systemischen Organisationsmodells wird bei uns große Aufmerksamkeit auf 4 Pole gelegt: Strategie (also inhaltlich-programmatische Entwicklung), Struktur (z. B. Aufbau- und Ablaufstruktur, inklusive Prozesse), Kultur (das Miteinander; v.a. geschriebene und ungeschriebene Spielregeln und unsere Kommunikation) sowie Exekution, also die Umsetzung. Hier arbeiten wir in der Organisationsentwicklung auch immer wieder mit systemischen Strukturaufstellungen. Wir haben uns damals bei der Gründung – sogar in unseren ersten Statuten verankert – zu einer permanenten Selbstreflexion verpflichtet, in der wir uns selbstkritisch mit unseren Dynamiken auseinandersetzen.
 
Matthias Strolz ist Parteivorsitzender der NEOS sowie systemischer Organisationsentwickler und Lehrbeauftragter an Universitäten. © Matthias StrolzDer systemische Ansatz hat viel mit Komplexität, Klarheit und Transparenz zu tun. In Aufstellungen werden Wechselwirkungen offensichtlich. Wie gut verträgt sich das mit der Politik?
Grundsätzlich schon gut, aber natürlich nicht immer gleich. Aber so ist es im Leben insgesamt. Auf eine neue Weise zu sagen, was ist oder gar zu zeigen, was ist, das ist eine der kraftvollsten Interventionen, die wir zur Verfügung haben. Und die Grenze der Intervention ist der Intervenierende. Ich muss mir als Interventionsführer überlegen: Ist das jetzt die richtige Intervention? Also nur aus Freude an der Offenbarung wird die Offenbarung nicht immer funktional und hilfreich sein. Man muss das kalkuliert und sehr dosiert einsetzen. Wir haben natürlich auch intern, wenn wir mit Aufstellungen arbeiten, durchaus Widerstände oder Menschen, die das ablehnen, und das ist auch in Ordnung. Es wird niemand gezwungen bei uns, aber ich lasse mir die Aufstellung als wichtiges Instrument auch nicht nehmen. Mich hat sie sehr bereichert und mir ist sie immer wieder eine wertvolle Unterstützung. Anderen gibt eine Aufstellung nichts – auch okay: Es ist, wie es ist.
 
Bedurfte es größerer Überzeugungsarbeit mit Aufstellungen im Rahmen der NEOS zu arbeiten?
Wir haben von der ersten Klausur an bereits damit gearbeitet. Damals haben wir schon beim ersten 2-Tages-Workshop Aufstellungen gemacht. Wir haben geprüft: Ist genügend Energie da? Gibt es ausreichend gemeinsame Schnittfläche in unseren Menschenbildern, Weltanschauungen, in unsern Zielen und Anliegen? Was ist gesellschaftlich im Raum? Und dazu haben wir am Abend auch mit einer großen Aufstellung gearbeitet. Wir hatten kürzlich ein 3-Jahres- Treffen zu unserer Gründungsklausur. Und wir haben auch dort wieder eine Aufstellung gemacht. Es war frappant für mich, wie wir sofort wieder in einer vertrauensvollen Atmosphäre waren, also in der Schwingung der Anfangsphase. Das war für uns alle sehr berührend. Und diese Aufstellung war für mich auch wieder hilfreich. Die Politik insgesamt ist extrem schnelllebig, druckvoll und verwertungsorientiert. Sie hat auch etwas Manipulatives und Verletzendes. Das sind zwei Attribute, die sich mit Aufstellungsarbeit nicht gut vertragen. Das heißt, ich bin schon immer bemüht einen vertrauensvollen Rahmen zu finden, wenn wir diese Instrumente verwenden. Der ist nicht immer gegeben.
 
Wie sind Sie eigentlich zum allerersten Mal zu einer Aufstellung gekommen?
Ich war immer interessiert an Selbsterfahrung und habe meine erste Trainerausbildung mit 17 Jahren gemacht. Später habe ich zahlreiche Ausbildungen im Bereich der Gruppendynamik und der systemischen Organisationsentwicklung absolviert. In die Aufstellungsarbeit hineingestolpert bin ich über ein privates Anliegen. Eine Trennung nach sechs Jahren Beziehung, am Ende meiner Studienzeit. Zur Bewältigung unseres Trennungsschmerzes bin ich in eine Familienaufstellung gegangen und das hat mich extrem fasziniert. Es war mir sofort klar, dass mich das nicht mehr loslässt. Und dann habe ich auch Ausbildungen gemacht, Aufstellungen besucht, war z. B. auch eine Woche mit Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer in Griechenland. Und ab 2001 habe ich als Organisationsentwickler selbst mit Aufstellungen gearbeitet.
 
Peter Klein ist Vorstand von infosyon Forschung und Entwicklung (koopt.); Geschäftsführer u. Ausbildner Integral Systemics (Wien, Nürnberg, Zürich); Mitorganisator des Aufstellungskongresses. © Peter KleinWelche Assoziationen bekommen Sie zu dem Zitat: "Wir arbeiten in den Strukturen von gestern mit Methoden von heute an den Problemen von morgen"?
Ja, das ergibt Sinn. Allein, wir haben die Methoden von morgen noch nicht, weil wir heute leben. Mir fällt dazu die "Theorie U" von Otto Scharmer ein, mit der Frage: "Wie kommt das Neue in die Welt?" Jedenfalls nicht linear, sondern es folgt einer gewissen Kurvenbewegung mit einem Dreischritt. OPEN MIND: meinen Geist offen halten – OPEN HEART: meine urmenschliche Qualität, mein Herz offen halten – OPEN WILL: gleichzeitig zielorientiert und willenlos sein. Das ist etwas, was für den abendländischen Verstand schwer zu fassen ist, weil es ambivalent oder gar als Widerspruch daher kommt. Aber das sind genau die Spannungsbögen, die wir auch in unserer Organisation bauen.
 
Im systemischen Ansatz könnte man auch mit dem Tetralemma arbeiten. Können Sie praktische Beispiele dazu nennen?
Wir kombinieren Neueinsteiger mit Erfahrenen, Partizipation mit Leadership, Professionalität mit Idealismus. Alles Dinge, die sich auf den ersten Blick für viele ausschließen. Ich glaube, wenn man diese Offenheit hat, dann wird man auch die Probleme von morgen mit immer neuen Ansätzen, Methoden und Instrumenten lösen können. Systeme haben eine Außengrenze, damit sie sich selbst begreifen können und um in der Komplexität des Lebens nicht verloren zu sein. Gleichzeitig braucht es diese gewisse Offenheit, um mit den relevanten Umwelten gut verbunden zu sein. Verbundenheit ist eines meiner Kernthemen, das mich in meinen zwei letzten Büchern beschäftigt hat.
 
Das Zitat hat noch eine Fortsetzung: "Mit Entscheidungsträgern, die in Kulturen von vorgestern aufgewachsen sind und das Übermorgen in Politik und Wirtschaft nicht mehr erleben werden". Kennen Sie solche Menschen?
Ja natürlich. Ich habe am Anfang, im ersten Jahr unserer Bewegung oft gesagt, dass ich glaube, wir selbst – wir, die Neuen – werden in zehn Jahren alt ausschauen. Dieses Empfinden ist jetzt erstaunlicherweise nicht mehr so stark. Ich habe in unseren ersten Monaten mit rund 25 Bewegungen zu Parteigründungen Kooperationsgespräche geführt. Im politischen Eck ist diese Gründer-Phase abgeklungen, zivilgesellschaftlich nicht. Ich hatte das Empfinden, wir sind Teil einer systemischen Welle, einer größeren gesamtgesellschaftlichen Bewegung. In diesem Ansatz sehe ich uns – bei gleichzeitig vielen Unterschieden – mit der Piraten-Bewegung verwandt. Wir sind beide Kinder einer großen Welle, die über den Planeten geht: "Sharing", der Wunsch nach Teilhabe.
 
Meine letzte Frage geht persönlich an den Menschen Matthias Strolz. Sie hätten viele Möglichkeiten gehabt. Wieso ist es dann die Politik geworden?
Weil ich einer inneren Notwendigkeit gefolgt bin. Die kann ich mir nicht aussuchen. Nur in dem Sinn, das ich entscheide, zu sagen: „Ich mache es!" oder „Ich mache es nicht!".
 
Gab es für Sie einen besonderen Schlüsselmoment bei der Offenbarung der Berufung?
Es gab zum Beispiel einen „luziden Traum", mit der Botschaft: Ich bin ein Gärtner des Lebens. Das ist mein Lied des Lebens.
 
Ein spannendes Thema, denn darum geht es auch auf unserer infosyon-Tagung an der Sigmund-Freud-Universität („Neue Träume und Visionen braucht die Wirtschaftswelt"). Darüber müssen Sie bei der Tagung mehr erzählen … Und man könnte den Traum deuten … Prof. Mendelssohn wird dort auch „Social Dreaming" vorstellen – kollektive Aspekte von Träumen, die über das Individuum hinausgehen.
Ja, das wäre spannend. Mein Auftrag ist mir klar: Ich kultiviere soziale Felder.
 
Und gleichzeitig schlagen Sie damit eine Brücke zur Aufstellungsarbeit, die Matthias Varga von Kibéd mit einem nach außen gerichteten Klartraum vergleicht…
Ich habe gelegentlich, alle paar Monate, einen sehr klaren Traum, bei dem ich spüre, das hat jetzt eine ganz andere Qualität als andere Träume. Dann ist mir die Botschaft oft auch recht klar. Das kann man sich jetzt einbilden oder nicht. Mir gibt’s Klarheit. Dieser damalige Traum war sehr eindrucksstark. Eine lange, prächtige Geschichte. Ich habe den Traum dann niedergeschrieben. Vier Seiten lang: Du bist ein Gärtner des Lebens. Kultiviere Lebendigkeit in all ihren Ausprägungen. Und das mache ich nun: als Vater, als Schreiber, als Nachbar, als Politiker … Das ist alles nicht so weit auseinander. Ganz im Gegenteil. Es ist alles verbunden.
 
Herr Strolz, wir danken für das Gespräch.
 
Träume die Zukunft
„Neue Träume und Visionen braucht die Wirtschaftswelt" ist das Motto einer Tagung an der Sigmund-Freud-Universität in Wien vom 24. bis 26. Juli 2015, bei der auch Matthias Strolz einen Vortrag hält. Weitere Themen der Veranstaltung: Träume und Innovation, Soziales Träumen, Beziehungsethik in der Wirtschaftswelt, Aufstellungen in Forschung und Lehre sowie Quanteneffekte in der Aufstellungsarbeit. www.infosyon.com
 
Neos – Das Neue Österreich und Liberales Forum (NEOS) ist eine liberale Partei in Österreich. Sie wurde im Oktober 2012 unter dem Parteinamen Neos – Das Neue Österreich gegründet. Bereits 2013 gelang der Einzug in den Österreichischen Nationalrat und 2014 in das EU Parlament. Die Partei orientiert sich laut eigenen Aussagen an den fünf Kernwerten Eigenverantwortung, Nachhaltigkeit, Freiheitsliebe, Authentizität und Wertschätzung. www.neos.eu

Gesellschaft | Megatrends, 06.05.2015

     
        
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