Generation Y
Warum die Generation der goldenen Möglichkeiten Wirtschaft, Politik und Gesellschaft lautlos und stetig verändert
Warum ...
… es der Generation Y („Why") so wundervoll-famos schlecht geht oder warum es
ihr so leidlich gut geht. Das Gefühl und die Vision einer ganzen Generation zu
beschreiben, ist ein Ding der Unmöglichkeit. forum-Autorin Susanne Merbold lädt
Sie ein, die Generation Y aus ihrer ganz persönlichen Perspektive kennen zu
lernen.
„Wieso, weshalb, warum?" sind die Fragen, die eine ganze Generation beschäftigen
und eigentlich genau das verdeutlichen, worum es geht: verloren zu sein in einer
Welt voller Möglichkeiten, mit dem Anspruch, Sinnhaftigkeit in das eigene Leben
zu bringen und ganz nebenbei auch noch die Welt zu verbessern. Wir müssen alles
verstehen, hinterfragen und wollen es zum Besseren wandeln. Ein riesiger
Anspruch, die Möglichkeiten sind gerade für meine Generation größer denn je,
aber eben auch die allgemeinen Anforderungen. Dennoch stehen wir für unsere
Visionen ein und werden die Welt verändern – zum Besseren für alle! Werfen Sie
mit mir einen Blick hinter die Kulissen.
Die meisten Menschen denken gerne, die Generation Y sei ein arroganter Haufen,
der sich selbst überschätzt und glaubt, in entspannter Work-Life-Balance ein
Globetrotter-Leben in Saus und Braus führen zu können. Aber so einfach ist es
nicht und es lohnt sich, genauer hinzusehen und auch zu verstehen, warum diese
Generation etwas orientierungslos nach Wahrheit und Antworten sucht, dabei etwas
überheblich wirkt, aber dennoch auf einem sehr guten Weg ist.
Wir haben goldene Möglichkeiten
Ich muss durchaus gestehen, dass wir in einem goldenen Zeitalter aufgewachsen
sind. Noch nie gab es in Deutschland eine so lange Zeit des Friedens. Wir alle
haben keine Kriegstraumata und sind nicht eine vom Verzicht gezeichnete
Generation. Nach Maslows Pyramide der Bedürfnisse sind alle ökonomischen und
sozialen Faktoren erfüllt: genug Nahrung, Kleidung, ein Zuhause, Familie,
Freunde und eine ausgezeichnete Schulbildung. Im Idealfall werden wir sogar den
Wohlstand unserer Eltern erben und finanziell bestens versorgt sein. Aber wir
tun auch einiges dafür: Wir sind die am besten ausgebildete, die
internationalste und vielsprachigste Generation, die jemals die Arbeitswelt
betreten hat. Nie hat eine Altersgruppe – prozentual gesehen – häufiger Abitur
gemacht, häufiger studiert, häufiger im Ausland gelebt. Wir konnten zum
Schüleraustausch in die USA und unser Auslandssemester in Australien machen.
Noch nie war Reisen so einfach und auch so erschwinglich. Lonely Planet nimmt
uns an die Hand, um auch die letzte einsame Ecke zu entdecken.
Die Technologie hat sich zudem gravierend geändert. Mittlerweile haben wir ganze
Archive an Musik dabei, wir fotografieren digital, veröffentlichen immer und
überall auf der Welt, wir „sharen", wir „liken", wir „skypen" – live und in
Farbe. Das ermöglicht uns eine weltweite Vernetzung. Wir nutzen Kanäle wie
Facebook, Twitter oder Blogs, um zu „socializen", unsere Meinung kundzugeben,
Wissen zu teilen und uns Feedback einzuholen. Wir teilen also nicht nur
materielle Güter, sondern auch unser gedankliches Gut. Wir haben die
Marketingwelt verändert, platte Werbung funktioniert nicht mehr, wir verlassen
uns auf das, was Freunde sagen und empfehlen, „Peer to Peer" und nicht „Business
to Consumer". Wir leben die Digitalisierung und sind offen für QR-Codes, Google
Maps, online Bordingpässe und das Internet of Things. Wir sammeln Meilen, Punkte
und Herzchen. Wir sind flexibel, vernetzt, gut ausgebildet und bestens
informiert.
Wir wollen Spuren hinterlassen
Was uns noch fehlt, ist die Möglichkeit, Spuren zu hinterlassen, uns selbst zu
verwirklichen. Und das wollen wir mit unserer Arbeit tun. Die Spitze in Maslows
Pyramide: Selbstverwirklichung. 60 Prozent der jungen Fachkräfte von morgen
wollen mit ihrer Arbeit Menschen helfen und die Welt verändern, 78 Prozent
wollen einen Mehrwert für die Gesellschaft leisten und 85 Prozent wollen sich
ethisch korrekt verhalten (Embrace Studie „Karriere trifft Sinn").
Wir haben Werte und Visionen – wir wollen Gutes tun. Wir wollen einen Sinn in
unserer Tätigkeit sehen, selbstbestimmt arbeiten und daran wachsen. Bei
Vertragsverhandlungen wird es zukünftig nicht nur um Geld, sondern vor allem um
sehr gute Arbeitsbedingungen gehen. Unternehmen, die mehr Urlaub, ein Sabbatical
und Homeoffice-Zeiten anbieten können, die vor allem etwas für die Gesellschaft
tun, gewinnen an Attraktivität für junge Talente.
Wir wollen Werte teilen
Selbstbestimmung ist das Statussymbol meiner Generation. Die heutige Berufswelt
wandelt sich mehr und mehr zu einer Kreativ- und Wissensökonomie. Wer seinem
eigenen Rhythmus folgen darf, empfindet Arbeit nicht nur als Arbeit, sondern als
Ausdruck der eigenen Souveränität. Für die Unternehmen zahlt sich mehr Autonomie
für ihre Beschäftigten sogar aus. Eine ganze Bandbreite von Studien belegt, dass
Beschäftigte, die die Wahl haben, wo und wann sie arbeiten, produktiver,
kreativer und effizienter sind als jene, die über die Maßen kontrolliert werden.
Uns interessiert nicht der Shareholder Value, sondern der Shared Value. Meine
Generation kämpft nicht nur für sich, sie kämpft für eine Kultur, die allen
nützt.
Wir sind verunsichert
„Wieso, weshalb, warum" sind wir dann auf unserer Suche nach Sinn trotzdem so
verloren, so unsicher? Dazu muss man etwas über den eigenen Tellerrand
hinausblicken. Laut BBC bin ich der 4.040.135.894. Mensch auf Erden. Lassen Sie
mich das mal in Relation setzen: Weltweit gibt es 7.312.000.000 Menschen (Stand
Mai 2015). Das ist alleine in meiner Lebenszeit ein Zuwachs von 80 Prozent –
Tendenz steigend. In meiner Lebenszeit wird sich die Weltbevölkerung verdoppelt
haben. Zwangsläufig muss aus immer weniger Ressourcen immer mehr Wohlstand
erzeugt werden, um bis 2050 Wohlstand für zehn Milliarden Menschen zu sichern
und gleichzeitig eine nachhaltige Entwicklung auch für zukünftige Generationen
zu garantieren. Sich das vor Augen zu führen, macht Angst. Wie soll das gehen?
Und was kann ich tun?
Wir sind die Talente der Zukunft
Es wird eine Zeit geben, in der uns der Arbeitskräftemangel zugute kommt und wir
freie Platzwahl haben im „War for talents". Aber ganz ehrlich, davon spüre ich
im Moment wenig. Ich war auch „Generation Praktikum", ich kenne befristete
Verträge, Arbeitnehmerüberlassung, Kündigungswellen und Frust. Die Folgen: Jeder
vierte Beschäftigte in Deutschland hat innerlich gekündigt, 61 Prozent machen
Dienst nach Vorschrift. Der Fehler: Leistung wird daran bemessen, wie viele
Stunden man bei der Arbeit verbringt und nicht daran, was am Ende dabei
herauskommt. Es ist "besser", viel Zeit mit wenig Arbeit zu verbringen, anstatt
viel Arbeit in kurzer Zeit zu erledigen. Einem Streben nach Sinn, Werten und
Ethik und einem kreativen, selbstbestimmten Arbeiten nimmt das oft die letzte
Motivation.
Wir müssen einsehen, dass man selbst mit viel Fleiß nicht immer weiter kommt und
dass unsere Erwartungen oft nicht erfüllt werden. Unser Leben läuft nicht so
steil nach oben wie das unserer Eltern, denen es eigentlich immer besser ging.
Wir sind zudem in einer Welt aufgewachsen, in der alles ständig im Umbruch ist.
Seit dem 11. September 2001 kennen wir Krisen: Afghanistankrise, Irakkrise,
Klimakrise, Wirtschaftskrise, Bildungskrise, Finanzkrise, Euro-Krise. Das
Krisengefühl, das Wissen um die Megatrends, die ständige Veränderung und
Anpassung haben die Unsicherheit zu unserem Lebensgefühl erhoben.
Die Mischung aus unendlichen Möglichkeiten und Lebensqualität auf der einen
Seite und starren Anforderungen und Zukunftsangst auf der anderen Seite zwingt
uns zu ständigen Anpassungen. Sie sorgt dafür, dass wir Neuem gegenüber
aufgeschlossen bleiben. In unserer Welt ist alles möglich, aber nichts ist von
Dauer. Aus Lebenspartnern wurden Lebensabschnittsgefährten. Aus dem Geburtsort
wurde die Wahlheimat. Und den Job auf Lebenszeit gibt es ebenso wenig wie die
sichere Rente. Wir sind manchmal unzufrieden, fühlen uns verloren und
unverstanden. Aber wir lassen uns nicht von diesem Gefühl beherrschen, sondern
schauen nach vorne. Wir nehmen die Herausforderung an und werden Wirtschaft und
Gesellschaft verändern.
Wir haben Lust, zu verändern
Das Gute ist, dass durchaus schon viele aus der Generation Y ihre zig Praktika
rund um den Globus vollendet haben, durchaus gute Jobs haben und mittlerweile
selbst in den Führungspositionen sitzen. Wir werden bald Vorstandsvorsitze,
Aufsichtsräte, Lehrstühle und auch Regierungsposten übernehmen – nicht nur in
Deutschland, sondern rund um den Globus. Dadurch könnten mehr Unternehmen
entstehen, in denen man sich nicht mehr hinter angeschwollenen Prozessen,
Bürokratie und Titeln versteckt, sondern wo wieder echte Leistung zählt. All
das, was eine hierarchische Organisation ausmacht, wird auf den Prüfstand
kommen: Herrschaftswissen, Kontrolle, zentrale Steuerung, Machtspielchen.
Stattdessen werden offenes Wissensmanagement, flache Organisationen, gelebte
Work-Life-Balance, gute Fehlerkultur, hierarchielose Kommunikation und Vertrauen
wichtiger – für Führungskräfte und für Mitarbeiter. Wettbewerbsfähigkeit wird in
Zukunft kein Ergebnis guter Planung, Anweisung und Kontrolle mehr sein.
Wettbewerbsfähigkeit wird Ergebnis motivierter Mitarbeiter sein. Mitarbeiter,
die für das große Ganze arbeiten. Die selbstbestimmt dann arbeiten können, wenn
es für sie am besten ist, die sich verwirklichen können und keiner starren
Anweisung unterliegen. Die den Freiraum haben, echte Innovationen zu bringen.
Für Führungskräfte heißt das: Sie müssen das Team mit einer Vision führen und so
die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen stärken. Natürlich wird
es einschneidende Top-down-Entscheidungen geben, aber das ist völlig ok, solange
die Vison stimmig ist. Der Wandel in der Arbeitswelt und in der Politik hat
bereits begonnen. Es ist keine laute Revolution, meine Generation zieht nicht
krawallig durch die Straßen oder demonstriert vor dem Bundestag oder vor
Konzerntoren. Wir verändern Wirtschaft, Politik und Gesellschaft lautlos und
schleichend, aber mit Herz und Verstand. Die Verantwortung der privilegierten
Y-Vertreter ist es, in dieser Welt Standards zu setzen, von denen später auch
weniger privilegierte Arbeitnehmer profitieren werden. Dann kann eine kleine
Veränderung zu einer Breitenbewegung werden, die immer mehr Branchen erfasst.
Wir werden CSR (Corporate Social Responsibility) durch CSV (Creating Shared
Value) ersetzen. Einfach aus dem Grund, weil es logisch ist und wir intrinsisch
motiviert sind, es genauso zu machen.
Susanne Merbold
möchte Karriere und Engagement für Nachhaltigkeit verbinden und hat
beeindruckende berufliche Stationen gemacht. Für sie ist auch klar, dass es
LEBENSlauf und nicht ARBEITSlauf heißt. In Ihrem Xing Profil steht deswegen nur
„Head of Adventure".
Gesellschaft | Globalisierung, 01.07.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2015 - Jahr des Bodens erschienen.
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