Generation Y

Warum die Generation der goldenen Möglichkeiten Wirtschaft, Politik und Gesellschaft lautlos und stetig verändert

Warum ...
… es der Generation Y („Why") so wundervoll-famos schlecht geht oder warum es ihr so leidlich gut geht. Das Gefühl und die Vision einer ganzen Generation zu beschreiben, ist ein Ding der Unmöglichkeit. forum-Autorin Susanne Merbold lädt Sie ein, die Generation Y aus ihrer ganz persönlichen Perspektive kennen zu lernen.
 
Selbstbestimmung ist das Statussymbol der Generation unserer Autorin Susanne Merbolds © Les Roches International School of Hotel Management CC BY 2.0 – flickr
„Wieso, weshalb, warum?" sind die Fragen, die eine ganze Generation beschäftigen und eigentlich genau das verdeutlichen, worum es geht: verloren zu sein in einer Welt voller Möglichkeiten, mit dem Anspruch, Sinnhaftigkeit in das eigene Leben zu bringen und ganz nebenbei auch noch die Welt zu verbessern. Wir müssen alles verstehen, hinterfragen und wollen es zum Besseren wandeln. Ein riesiger Anspruch, die Möglichkeiten sind gerade für meine Generation größer denn je, aber eben auch die allgemeinen Anforderungen. Dennoch stehen wir für unsere Visionen ein und werden die Welt verändern – zum Besseren für alle! Werfen Sie mit mir einen Blick hinter die Kulissen.
Die meisten Menschen denken gerne, die Generation Y sei ein arroganter Haufen, der sich selbst überschätzt und glaubt, in entspannter Work-Life-Balance ein Globetrotter-Leben in Saus und Braus führen zu können. Aber so einfach ist es nicht und es lohnt sich, genauer hinzusehen und auch zu verstehen, warum diese Generation etwas orientierungslos nach Wahrheit und Antworten sucht, dabei etwas überheblich wirkt, aber dennoch auf einem sehr guten Weg ist.
 
Wir haben goldene Möglichkeiten
Ich muss durchaus gestehen, dass wir in einem goldenen Zeitalter aufgewachsen sind. Noch nie gab es in Deutschland eine so lange Zeit des Friedens. Wir alle haben keine Kriegstraumata und sind nicht eine vom Verzicht gezeichnete Generation. Nach Maslows Pyramide der Bedürfnisse sind alle ökonomischen und sozialen Faktoren erfüllt: genug Nahrung, Kleidung, ein Zuhause, Familie, Freunde und eine ausgezeichnete Schulbildung. Im Idealfall werden wir sogar den Wohlstand unserer Eltern erben und finanziell bestens versorgt sein. Aber wir tun auch einiges dafür: Wir sind die am besten ausgebildete, die internationalste und vielsprachigste Generation, die jemals die Arbeitswelt betreten hat. Nie hat eine Altersgruppe – prozentual gesehen – häufiger Abitur gemacht, häufiger studiert, häufiger im Ausland gelebt. Wir konnten zum Schüleraustausch in die USA und unser Auslandssemester in Australien machen. Noch nie war Reisen so einfach und auch so erschwinglich. Lonely Planet nimmt uns an die Hand, um auch die letzte einsame Ecke zu entdecken. Die Technologie hat sich zudem gravierend geändert. Mittlerweile haben wir ganze Archive an Musik dabei, wir fotografieren digital, veröffentlichen immer und überall auf der Welt, wir „sharen", wir „liken", wir „skypen" – live und in Farbe. Das ermöglicht uns eine weltweite Vernetzung. Wir nutzen Kanäle wie Facebook, Twitter oder Blogs, um zu „socializen", unsere Meinung kundzugeben, Wissen zu teilen und uns Feedback einzuholen. Wir teilen also nicht nur materielle Güter, sondern auch unser gedankliches Gut. Wir haben die Marketingwelt verändert, platte Werbung funktioniert nicht mehr, wir verlassen uns auf das, was Freunde sagen und empfehlen, „Peer to Peer" und nicht „Business to Consumer". Wir leben die Digitalisierung und sind offen für QR-Codes, Google Maps, online Bordingpässe und das Internet of Things. Wir sammeln Meilen, Punkte und Herzchen. Wir sind flexibel, vernetzt, gut ausgebildet und bestens informiert.
 
Wir wollen Spuren hinterlassen
Was uns noch fehlt, ist die Möglichkeit, Spuren zu hinterlassen, uns selbst zu verwirklichen. Und das wollen wir mit unserer Arbeit tun. Die Spitze in Maslows Pyramide: Selbstverwirklichung. 60 Prozent der jungen Fachkräfte von morgen wollen mit ihrer Arbeit Menschen helfen und die Welt verändern, 78 Prozent wollen einen Mehrwert für die Gesellschaft leisten und 85 Prozent wollen sich ethisch korrekt verhalten (Embrace Studie „Karriere trifft Sinn").
Wir haben Werte und Visionen – wir wollen Gutes tun. Wir wollen einen Sinn in unserer Tätigkeit sehen, selbstbestimmt arbeiten und daran wachsen. Bei Vertragsverhandlungen wird es zukünftig nicht nur um Geld, sondern vor allem um sehr gute Arbeitsbedingungen gehen. Unternehmen, die mehr Urlaub, ein Sabbatical und Homeoffice-Zeiten anbieten können, die vor allem etwas für die Gesellschaft tun, gewinnen an Attraktivität für junge Talente.
 
Wir wollen Werte teilen
Selbstbestimmung ist das Statussymbol meiner Generation. Die heutige Berufswelt wandelt sich mehr und mehr zu einer Kreativ- und Wissensökonomie. Wer seinem eigenen Rhythmus folgen darf, empfindet Arbeit nicht nur als Arbeit, sondern als Ausdruck der eigenen Souveränität. Für die Unternehmen zahlt sich mehr Autonomie für ihre Beschäftigten sogar aus. Eine ganze Bandbreite von Studien belegt, dass Beschäftigte, die die Wahl haben, wo und wann sie arbeiten, produktiver, kreativer und effizienter sind als jene, die über die Maßen kontrolliert werden. Uns interessiert nicht der Shareholder Value, sondern der Shared Value. Meine Generation kämpft nicht nur für sich, sie kämpft für eine Kultur, die allen nützt.
 
Wir sind verunsichert
„Wieso, weshalb, warum" sind wir dann auf unserer Suche nach Sinn trotzdem so verloren, so unsicher? Dazu muss man etwas über den eigenen Tellerrand hinausblicken. Laut BBC bin ich der 4.040.135.894. Mensch auf Erden. Lassen Sie mich das mal in Relation setzen: Weltweit gibt es 7.312.000.000 Menschen (Stand Mai 2015). Das ist alleine in meiner ­Lebenszeit ein Zuwachs von 80 Prozent – Tendenz steigend. In meiner Lebenszeit wird sich die Weltbevölkerung verdoppelt haben. Zwangsläufig muss aus immer weniger Ressourcen immer mehr Wohlstand erzeugt werden, um bis 2050 Wohlstand für zehn Milliarden Menschen zu sichern und gleichzeitig eine nachhaltige Entwicklung auch für zukünftige Generationen zu garantieren. Sich das vor Augen zu führen, macht Angst. Wie soll das gehen? Und was kann ich tun?
 
Wir sind die Talente der Zukunft
Es wird eine Zeit geben, in der uns der Arbeitskräftemangel zugute kommt und wir freie Platzwahl haben im „War for talents". Aber ganz ehrlich, davon spüre ich im Moment wenig. Ich war auch „Generation Praktikum", ich kenne befristete Verträge, Arbeitnehmerüberlassung, Kündigungswellen und Frust. Die Folgen: Jeder vierte Beschäftigte in Deutschland hat innerlich gekündigt, 61 Prozent machen Dienst nach Vorschrift. Der Fehler: Leistung wird daran bemessen, wie viele Stunden man bei der Arbeit verbringt und nicht daran, was am Ende dabei herauskommt. Es ist "besser", viel Zeit mit wenig Arbeit zu verbringen, anstatt viel Arbeit in kurzer Zeit zu erledigen. Einem Streben nach Sinn, Werten und Ethik und einem kreativen, selbstbestimmten Arbeiten nimmt das oft die letzte Motivation.
Wir müssen einsehen, dass man selbst mit viel Fleiß nicht immer weiter kommt und dass unsere Erwartungen oft nicht erfüllt werden. Unser Leben läuft nicht so steil nach oben wie das unserer Eltern, denen es eigentlich immer besser ging. Wir sind zudem in einer Welt aufgewachsen, in der alles ständig im Umbruch ist. Seit dem 11. September 2001 kennen wir Krisen: Afghanistankrise, Irakkrise, Klimakrise, Wirtschaftskrise, Bildungskrise, Finanzkrise, Euro-Krise. Das Krisengefühl, das Wissen um die Megatrends, die ständige Veränderung und Anpassung haben die Unsicherheit zu unserem Lebensgefühl erhoben.
Die Mischung aus unendlichen Möglichkeiten und Lebensqualität auf der einen Seite und starren Anforderungen und Zukunftsangst auf der anderen Seite zwingt uns zu ständigen Anpassungen. Sie sorgt dafür, dass wir Neuem gegenüber aufgeschlossen bleiben. In unserer Welt ist alles möglich, aber nichts ist von Dauer. Aus Lebenspartnern wurden Lebensabschnittsgefährten. Aus dem Geburtsort wurde die Wahlheimat. Und den Job auf Lebenszeit gibt es ebenso wenig wie die sichere Rente. Wir sind manchmal unzufrieden, fühlen uns verloren und unverstanden. Aber wir lassen uns nicht von diesem Gefühl beherrschen, sondern schauen nach vorne. Wir nehmen die Herausforderung an und werden Wirtschaft und Gesellschaft verändern.
 
Wir haben Lust, zu verändern
Das Gute ist, dass durchaus schon viele aus der Generation Y ihre zig Praktika rund um den Globus vollendet haben, durchaus gute Jobs haben und mittlerweile selbst in den Führungspositionen sitzen. Wir werden bald Vorstandsvorsitze, Aufsichtsräte, Lehrstühle und auch Regierungsposten übernehmen – nicht nur in Deutschland, sondern rund um den Globus. Dadurch könnten mehr Unternehmen entstehen, in denen man sich nicht mehr hinter angeschwollenen Prozessen, Bürokratie und Titeln versteckt, sondern wo wieder echte Leistung zählt. All das, was eine hierarchische Organisation ausmacht, wird auf den Prüfstand kommen: Herrschaftswissen, Kontrolle, zentrale Steuerung, Machtspielchen. Stattdessen werden offenes Wissensmanagement, flache Organisationen, gelebte Work-Life-Balance, gute Fehlerkultur, hierarchielose Kommunikation und Vertrauen wichtiger – für Führungskräfte und für Mitarbeiter. Wettbewerbsfähigkeit wird in Zukunft kein Ergebnis guter Planung, Anweisung und Kontrolle mehr sein. Wettbewerbsfähigkeit wird Ergebnis motivierter Mitarbeiter sein. Mitarbeiter, die für das große Ganze arbeiten. Die selbstbestimmt dann arbeiten können, wenn es für sie am besten ist, die sich verwirklichen können und keiner starren Anweisung unterliegen. Die den Freiraum haben, echte Innovationen zu bringen. Für Führungskräfte heißt das: Sie müssen das Team mit einer Vision führen und so die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen stärken. Natürlich wird es einschneidende Top-down-Entscheidungen geben, aber das ist völlig ok, solange die Vison stimmig ist. Der Wandel in der Arbeitswelt und in der Politik hat bereits begonnen. Es ist keine laute Revolution, meine Generation zieht nicht krawallig durch die Straßen oder demonstriert vor dem Bundestag oder vor Konzerntoren. Wir verändern Wirtschaft, Politik und Gesellschaft lautlos und schleichend, aber mit Herz und Verstand. Die Verantwortung der privilegierten Y-Vertreter ist es, in dieser Welt Standards zu setzen, von denen später auch weniger privilegierte Arbeitnehmer profitieren werden. Dann kann eine kleine Veränderung zu einer Breitenbewegung werden, die immer mehr Branchen erfasst. Wir werden CSR (Corporate Social Responsibility) durch CSV (Creating Shared Value) ersetzen. Einfach aus dem Grund, weil es logisch ist und wir intrinsisch motiviert sind, es genauso zu machen.
 
Susanne Merbold
möchte Karriere und Engagement für Nachhaltigkeit verbinden und hat beeindruckende berufliche Stationen gemacht. Für sie ist auch klar, dass es LEBENSlauf und nicht ARBEITSlauf heißt. In Ihrem Xing Profil steht deswegen nur „Head of Adventure".

Gesellschaft | Globalisierung, 01.07.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2015 - Jahr des Bodens erschienen.
     
        
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