Energiewende am Scheideweg
Was zu tun bleibt, um die großen Chancen der Energieeffizienz zu nutzen
Die großen Chancen der Energieeffizienz werden bisher nicht ausreichend genutzt.
Um dies zu ändern und die Energiewende stärker voranzutreiben, braucht es
praxisnahe Beratung, attraktive Investitionsanreize und innovative
Finanzierungsmodelle.
Die Energieeffizienz ist neben den erneuerbaren Energien die zweite tragende
Säule der Energiewende. Noch ist sie aber ein „schlafender Riese". Dabei sind
die Einsparpotenziale bei Wärme, Strom und Kraftstoffen in Deutschland enorm –
sowohl in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen als auch in privaten
Haushalten. Bisher werden jedoch noch viel zu wenige Maßnahmen umgesetzt. Es
fehlt an Informationen, professionellen Organisationsstrukturen, „Kümmerern" –
und oft auch an den notwendigen finanziellen Mitteln. Die Bundesregierung hat
dies erkannt und Ende 2014 den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz (NAPE)
vorgelegt. Nach dem Grundsatz „Informieren – Fördern – Fordern" klärt NAPE
private Haushalte, Unternehmen und Kommunen über ihre Energieeinsparpotenziale
und geeignete Energieeffizienzmaßnahmen auf. Anreize für Effizienzinvestitionen
werden beispielsweise durch steuerliche Förderung von Effizienzmaßnahmen für
Wohngebäude, Sonderabschreibungen für gewerblich genutzte Elektrofahrzeuge oder
auch ein neuartiges wettbewerbliches Ausschreibungsmodell geschaffen. Und nicht
zuletzt nimmt NAPE die Unternehmen in die Pflicht: Der Aktionsplan verlangt von
großen Unternehmen Energieaudits und setzt Standards für Neuanlagen und
Neubauten. Unternehmen sollen zudem eigenverantwortlich in bis zu 500
Energieeffizienznetzwerken gemeinsame Effizienzziele definieren und diese in der
Gruppe umsetzen.
Tragende Säule der Energiewende
Einer der inhaltlichen Schwerpunkte von NAPE ist der Gebäudebereich. Bis zum
Jahr 2050 will die Bundesregierung einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand
erreichen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Etablierung der Energieeffizienz als
Rendite- und Geschäftsmodell. Dies begrüßt B.A.U.M. besonders, denn hohe
Investitionskosten, mangelndes Personal und Know-how verhindern häufig die
Umsetzung von Energieeffizienz-Maßnahmen, obwohl hier im Gegenzug attraktive
Amortisationszeiten zu erzielen sind. Innovative Finanzierungs- und
Geschäftsmodelle können helfen, diese Hürden zu überwinden und bestehende
Energiekosten in Energieeffizienz-Investitionen umzuwandeln. Dazu wurde das
Konzept des Zukunftsfonds entwickelt, bei dem Kosteneinsparungen aus
Energieeffizienz-Projekten zur Finanzierung neuer Maßnahmen genutzt werden.
Zurzeit erprobt B.A.U.M. in dem Projekt Regionale
EnergieEffizienzGenossenschaften (REEG), wie sich das Konzept des Zukunftsfonds
in Städten und Landkreisen umsetzen lässt. Dadurch sollen die riesigen
Potenziale von Energieeffizienz-Maßnahmen genutzt und die Wertschöpfungsketten
in der Region gestärkt werden. Die drei am Projekt beteiligten Pilotkommunen –
die Städte Aachen und Norderstedt sowie der Landkreis Berchtesgadener Land –
unterscheiden sich in Struktur und geografischer Lage stark voneinander. Sie
wurden ausgewählt, um die Chancen und die Funktionsfähigkeit des Konzepts bei
unterschiedlichen Rahmenbedingungen unter Beweis zu stellen. Das Projekt REEG
wird vom Bundesumweltministerium im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative
gefördert. Dass es außerdem von der Initiative „Deutschland – Land der Ideen"
und der Deutschen Bank im Wettbewerb 2014/2015 als „Ausgezeichneter Ort"
prämiert wurde, ist eine schöne Anerkennung für die Arbeit des Projektteams.
Kapital aus der Region – für die Region
REEG nutzt Privatkapital aus der Region zur Finanzierung von
Energieeffizienz-Maßnahmen in der Region. Häufig handelt es sich dabei um
Maßnahmen im Bereich der Querschnittstechnologien wie Beleuchtung,
Energiemanagement, Druckluft, Pumpensysteme, Kältetechnik oder Lüftung und
Klimatisierung. Die Unternehmen, die die Maßnahmen durchführen, erhalten
modernste Technik, ohne selbst investieren zu müssen. Die beteiligten Städte
oder Landkreise können eigene Projekte in kommunalen Einrichtungen zur
Finanzierung vorschlagen; sie profitieren aber auch insgesamt durch die
Verbesserung ihrer Klimabilanz und durch die Förderung der regionalen
Wirtschaft.
In Norderstedt beispielsweise wird aktuell bei einem kleinen mittelständischen
Unternehmen aus dem Bereich Veranstaltungsservice die Beleuchtungsanlage
umfassend saniert (Außenanlage, Büro, Küchen- und Produktionsräume, Sanitär- und
Personalräume). Nach einer systemischen Analyse im Vorfeld wurde unter
Berücksichtigung der Wünsche des betroffenen Unternehmens aus mehreren Angeboten
ein regionales Handwerksunternehmen als geeigneter Auftragnehmer ausgewählt und
mit der Durchführung der Sanierung beauftragt. Bei diesem Projekt mit einem
Investitionsvolumen von rund 10.000 Euro wird eine Einsparung von rund
siebenTonnen CO2 erwartet.
Auch private Haushalte mitnehmen
Nicht nur bei Unternehmen, auch im Bereich der privaten Haushalte ist das
Einsparpotenzial hoch. Nimmt man investive und nicht-investive Maßnahmen
zusammen, lassen sich Einsparungen von bis zu 50 Prozent erzielen. B.A.U.M.
bereitet daher eine deutschlandweite Kampagne vor, die den Verbrauchern zeigt,
wie sie Energie sparen und Kosten reduzieren können. Neben der OTTO Group als
Premiumpartner werden unter anderem Hersteller von Haustechnik und
Haushaltsgeräten, Energieversorger, Fachverbände aus Industrie und Handwerk
sowie Umweltorganisationen an der Kampagne beteiligt sein. Flankierende
Kommunikationsmaßnahmen sollen den großen Zusammenhang von Energiewende und
Klimaschutz deutlich machen, denn Energiewende und Klimaschutz gelingen nur,
wenn alle an einem Strang ziehen. Vor allem möchte die Kampagne zur
energetischen Sanierung von Gebäuden sowie zum Austausch alter Heizungsanlagen
oder Haushaltsgeräte gegen neue, energieeffiziente motivieren. Zusätzlich zum
Klimaschutz schafft dies neue Arbeitsplätze, ein grünes Wirtschaftswachstum und
zusätzliche Steuereinnahmen für Staat, Länder und Kommunen.
Prof. Dr. Maximilian Gege
ist Vorsitzender von B.A.U.M., Europas größtem Netzwerk für nachhaltiges
Wirtschaften. Er hat früh die großen Chancen der Energieeffizienz erkannt und
dazu viel publiziert, u.a. „Erfolgsfaktor Energieeffizienz. Investitionen, die
sich lohnen" (Oekom-Verlag, 2011).
Für sein Engagement hat er zahlreiche nationale und internationale
Auszeichnungen erhalten.
Technik | Energie, 01.07.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2015 - Jahr des Bodens erschienen.
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