Mit System zum Erfolg
forum-Interview mit Matthias Strolz über systemische Organisationsentwicklung
Die liberale Partei NEOS wurde im Oktober 2012 in Wien gegründet und erreichte
bereits bei der österreichischen Nationalratswahl im September 2013
sensationelle fünf Prozent der Stimmen. Bereits ein Jahr später gelang den NEOs
der Einzug in das EU-Parlament. Ein Schlüssel zum Erfolg dürfte die konsequente
systemische Organisationsentwicklung – auch unter Anwendung systemischer
Aufstellungen – sein. forum Autor Peter Klein sprach mit dem Parteigründer
Matthias Strolz.
Herr Strolz, warum nennen sich die NEOS die „erste systemische Partei"?
Wir nutzen ein systemisches Organisationsmodell mit 4 Polen: Strategie, also
inhaltlich-programmatische Entwicklung, Struktur, das ist die Aufbau- und
Ablaufstruktur inklusive Prozesse, Kultur, also das Miteinander, unsere
Kommunikation und geschriebene und ungeschriebene Spielregeln sowie Exekution,
also die konkrete Umsetzung unserer Ziele. Hier arbeiten wir in der
Organisationsentwicklung immer wieder mit systemischen Strukturaufstellungen.
Wir haben uns bei der Gründung zu einer permanenten Selbstreflexion
verpflichtet, in der wir uns kritisch mit unseren Dynamiken auseinandersetzen.
Der systemische Ansatz hat viel mit Komplexität, Klarheit und Transparenz zu
tun.
Wie gut verträgt sich das mit der Politik?
Grundsätzlich schon gut, aber natürlich nicht immer gleich. Auf eine neue Weise
zu sagen, was ist oder gar zu zeigen, was ist, das ist eine der kraftvollsten
Interventionen, die wir zur Verfügung haben. Aber ein Interventionsführer muss
überlegen: Ist das jetzt die richtige Intervention? Also nur aus Freude an der
Offenbarung wird die Offenbarung nicht immer funktional und hilfreich sein. Man
muss das kalkuliert und sehr dosiert einsetzen. Wenn wir mit Aufstellungen
arbeiten, gibt es durchaus Widerstände und Ablehnung, aber das ist in Ordnung.
Es wird niemand gezwungen, aber ich lasse mir die Aufstellung als wichtiges
Instrument nicht nehmen. Mich hat sie sehr bereichert und mir ist sie immer
wieder eine wertvolle Unterstützung. Anderen gibt eine Aufstellung nichts – auch
okay: Es ist, wie es ist.
Gab es Widerstände in der Partei?
Wir haben von der ersten Klausur an mit Aufstellungen gearbeitet und damit
geprüft: Ist genügend Energie da? Gibt es ausreichend gemeinsame Schnittfläche
in unseren Menschenbildern, Weltanschauungen, in unseren Zielen und Anliegen?
Was ist gesellschaftlich im Raum? Wir hatten kürzlich ein 3-Jahres-Treffen zu
unserer Gründungsklausur. Und wir haben auch dort wieder eine Aufstellung
gemacht. Es war frappant für mich, wie wir sofort wieder in einer
vertrauensvollen Atmosphäre waren, also in der Schwingung der Anfangsphase. Das
war für uns alle sehr berührend und hilfreich.
Die Politik ist extrem schnelllebig, druckvoll und verwertungsorientiert. Sie
hat mitunter auch etwas Manipulatives und Verletzendes. Das sind Attribute, die
sich mit Aufstellungsarbeit nicht gut vertragen. Wir sind deshalb bemüht, einen
vertrauensvollen Rahmen zu finden, wenn wir diese Instrumente verwenden.
Wie sind Sie zur systemischen Aufstellung gekommen?
Ich war immer interessiert an Selbsterfahrung und habe meine erste
Trainerausbildung mit 17 Jahren gemacht. Später habe ich zahlreiche Ausbildungen
im Bereich der Gruppendynamik und der systemischen Organisationsentwicklung
absolviert. In die Aufstellungsarbeit bin ich über ein privates Anliegen
hineingestolpert: eine Trennung nach sechs Jahren Beziehung, am Ende meiner
Studienzeit. Zur Bewältigung des Trennungsschmerzes bin ich in eine
Familienaufstellung gegangen und das hat mich extrem fasziniert. Es war mir
sofort klar, dass mich das nicht mehr loslässt. Und dann habe ich Aufstellungen
besucht und Ausbildungen gemacht und ab 2001 habe ich als
Organisationsentwickler selbst mit Aufstellungen gearbeitet.
Was sagen Sie zu dem Zitat: „Wir arbeiten in den Strukturen von gestern mit
Methoden von heute an den Problemen von morgen."?
Ja, das ergibt Sinn. Allein, wir haben die Methoden von morgen noch nicht, weil
wir heute leben. Mir fällt dazu die „Theorie U" von Otto Scharmer ein, mit der
Frage: „Wie kommt das Neue in die Welt?" Aus meiner Sicht erfolgt das nicht
linear, sondern in einer Kurvenbewegung mit einem Dreischritt. OPEN MIND: meinen
Geist offen halten – OPEN HEART: meine urmenschliche Qualität, mein Herz offen
halten – OPEN WILL: gleichzeitig zielorientiert und willenlos sein. Das ist
etwas, was für den abendländischen Verstand schwer zu fassen ist, weil es
ambivalent oder gar als Widerspruch daherkommt. Aber das sind genau die
Spannungsbögen, die wir auch in unserer Organisation bauen.
Können Sie praktische Beispiele dazu nennen?
Wir kombinieren Neueinsteiger mit Erfahrenen, Partizipation mit Leadership,
Professionalität mit Idealismus. Alles Dinge, die sich auf den ersten Blick
ausschließen. Ich glaube, wenn man sich dafür öffnet, dann wird man auch die
Probleme von morgen mit immer neuen Ansätzen, Methoden und Instrumenten lösen
können. Systeme haben eine Außengrenze, damit sie sich selbst begreifen können
und um in der Komplexität des Lebens nicht verloren zu sein. Gleichzeitig
braucht es Offenheit, um mit den relevanten Umwelten gut verbunden zu sein.
Verbundenheit ist eines der Kernthemen, das mich in meinen zwei letzten Büchern
beschäftigt hat.
Das Zitat hat noch eine Fortsetzung: „Mit Entscheidungsträgern, die in Kulturen
von vorgestern aufgewachsen sind und das Übermorgen in Politik und Wirtschaft
nicht mehr erleben werden". Gilt das auch für die NEOS?
Ich habe am Anfang oft gesagt, dass ich glaube, wir selbst – die Neuen – werden
in zehn Jahren alt ausschauen. Dieses Empfinden ist jetzt erstaunlicherweise
nicht mehr so stark. Ich habe in unseren ersten Monaten mit rund 25 Bewegungen
zu Parteigründungen Kooperationsgespräche geführt. Im politischen Eck ist diese
Gründer-Phase abgeklungen, zivilgesellschaftlich nicht. Ich hatte das Empfinden,
wir sind Teil einer systemischen Welle, einer größeren gesamtgesellschaftlichen
Bewegung. In diesem Ansatz sehe ich uns – bei gleichzeitig vielen Unterschieden
– mit der Piraten-Bewegung verwandt. Wir sind beide Kinder einer großen Welle,
die über den Planeten geht: „Sharing", der Wunsch nach Teilhabe.
Wieso sind Sie in die Politik gegangen?
Weil ich einer inneren Notwendigkeit gefolgt bin. Die kann ich mir nicht
aussuchen. Nur in dem Sinn, dass ich entscheide, zu sagen: „Ich mache es!" oder
„Ich mache es nicht!". Ein Schlüsselerlebnis war für mich ein „luzider Traum",
mit der Botschaft: Ich bin ein Gärtner des Lebens. Das ist mein Lied des Lebens.
Ich habe den Traum dann niedergeschrieben. Vier Seiten lang: Du bist ein Gärtner
des Lebens. Kultiviere Lebendigkeit in all ihren Ausprägungen. Und das mache ich
nun: als Vater, als Schreiber, als Nachbar, als Politiker … Das ist alles nicht
so weit auseinander. Ganz im Gegenteil. Es ist alles verbunden. Mein Auftrag ist
mir klar: Ich kultiviere soziale Felder.
Herr Strolz, wir danken für das Gespräch.
Matthias Strolz
ist Parteivorsitzender der NEOS und war davor Unternehmer im Bereich der
systemischen Organisationsentwicklung und Lehrbeauftragter an Universitäten.
Gesellschaft | Politik, 01.07.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2015 - Jahr des Bodens erschienen.
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