Zuhören - statt bellen

Über die richtige Wortwahl in Unternehmen

Durch verletzendes Kommunikationsverhalten entstehen enorme Reibungsverluste und damit wirtschaftliche Schäden für die Unternehmen. Die von Marshall B. Rosenberg entwickelten Methoden können hier bemerkenswerte Veränderungen erzielen.
 
Zuhören - statt bellen © Javier Brosch, fotolia.comFrau Benz möchte mit ihrem Kollegen Römer über das Fuhrparkauto sprechen, das sie von ihm mit leerem Tank für eine Dienstfahrt übernommen hat. Herr Römer dreht sich weg und schaltet mit einem „lassen Sie mich doch in Ruhe, ich hab genug Stress" auf stur. Frau Benz: „Jetzt reicht’s mir aber – nie hören Sie mir zu, wenn ich mit Ihnen reden will!" Ganz offensichtlich war das nicht der erste erfolglose Versuch, bei ihrem Kollegen eine Schwierigkeit anzusprechen. Wie könnte es in dieser in der Arbeitswelt ganz alltäglichen Situation besser laufen?

In unserer gewohnten Sprache vermischen wir ständig Beobachtetes mit Interpretationen und Bewertungen, verpacken oft unterschwellig Anschuldigungen so, dass sie zwar verletzend oder als Angriff wirken, aber kaum sichtbar sind. Umgekehrt sind wir es gewohnt, eine Anschuldigung persönlich zu nehmen und entweder mit Rechtfertigung oder einem Gegenangriff („das lass ich mir doch nicht gefallen!"), mit Rückzug („bloß keinen Streit!") oder Niedergeschlagenheit („sie hat ja recht – ich bin schuld an allem") zu reagieren. Häufig stellen wir anderen eine Diagnose, wie sie unserer Meinung nach sind (z.B. unfair, unehrlich, misstrauisch), stellen Forderungen an andere und reagieren bei deren Nichterfüllung entsprechend strafend, lautstark oder auch still und beleidigt.
 
Wie kann ich Konflikte auflösen
Marshall B. Rosenberg (1934-2015) entwickelte die Gewaltfreie Kommunikation, weil er dieser Fülle von verbaler Gewalt etwas entgegensetzen wollte. Seither arbeitet er mit Schülern, Eltern, Managern, Politikern, Gefangenen in der ganzen Welt und vor allem in Krisengebieten wie z.B. im Nahen Osten, in Afrika oder Osteuropa.

Die Gewaltfreie Kommunikation möchte in schwierigen, konfliktträchtigen Situationen eine möglichst gute Verbindung mit dem Gegenüber herstellen, um so die Wahrscheinlichkeit zu maximieren, dass die Beteiligten das bekommen, was sie im Moment brauchen, dass also die Bedürfnisse von allen erfüllt werden. Dabei geht es niemals um eine Technik, andere so zu manipulieren, damit man bekommt, was man haben will und auch nicht darum, möglichst gut auf den anderen einzugehen und letztlich auf die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse zu verzichten, nur damit ein Konflikt zur Ruhe kommt. Vielmehr geht es bei gewaltfreier Kommunikation darum, eine ganz neue innere Haltung dem anderen gegenüber einzunehmen, um in echten Kontakt zu kommen und dafür zu sorgen, dass am Ende alle zufrieden sind.

Rosenbergs zentraler Ansatz geht von den Bedürfnissen eines jeden Menschen aus und von den Gefühlen, die entstehen, wenn ein Bedürfnis momentan erfüllt oder nicht erfüllt ist. Um nur ein paar wenige wichtige Bedürfnisse zu nennen: Wertschätzung, Verständnis, Schutz, Nahrung, Vertrauen, Nähe, Sinnhaftigkeit, etc.
Ein weiterer wichtiger Begriff ist die Empathie, die Fähigkeit, sich in die Gefühle und Bedürfnisse eines anderen Menschen „einzufühlen". Wenn wir es schaffen, mit den Gefühlen und Bedürfnissen in Verbindung zu kommen und dazu noch eine Möglichkeit finden, uns darüber ehrlich auszutauschen, entsteht in kürzester Zeit gegenseitiges Verständnis: „Worte können Fenster sein – oder Mauern" ist Rosenbergs Aussage, die über allem steht. Es geht ihm immer darum, Fenster zum Gegenüber zu öffnen, damit Verständnis möglich wird. In unserem Eingangsbeispiel wird deutlich, was alleine das Wort „nie" auslöst. Spätestens jetzt ist das Fenster zugemauert.
 
In der Gewaltfreien Kommunikation konzentrieren wir uns auf die folgenden Bestandteile:
1) Reine Beobachtungen äußern, ohne Bewertungen, ohne subjektive Interpretationen.
2) Gefühle genau wahrnehmen und aussprechen.
3) Sich klar werden über die Bedürfnisse, die gerade erfüllt oder nicht erfüllt werden.
4) Eine konkrete Bitte an den anderen richten, ohne Forderung oder Strafandrohung.
 
Diese vier Teile können nun je nach Situation verwendet werden entweder für
a) eine aufrichtige Selbstmitteilung oder
b) das einfühlsame Zuhören (Empathie)
 
Eine gewaltfreie Kommunikation kann Konflikte lösen © apops, fotolia.comMöchte ich meinen Ärger über das Verhalten anderer loswerden und will ich erreichen, dass sich an der Situation tatsächlich etwas ändert, ohne mit Strafe zu drohen oder zu verletzen, dann wähle ich die „Selbstmitteilung". Aber auch im positiven Fall, wenn ich meiner Zufriedenheit und Freude Ausdruck verleihen möchte, kommt meine Botschaft viel ehrlicher und intensiver beim anderen an, wenn ich die genannten Elemente verwende, als wenn ich im gewohnten Stil ein „Lob" ausspreche. Dann sage ich, was der andere getan hat (Beobachtung), das zu meiner Freude (Gefühl) geführt hat, weil mir etwas ganz wichtig war (Bedürfnis).
 
Barrieren abbauen durch einfühlsames Zuhören
Bin ich dagegen einem verbalen Angriff oder einer Anschuldigung ausgesetzt, ermöglicht mir das „einfühlsame Zuhören", meinem Gesprächspartner zu signalisieren, dass ich mich bemühe, ihn zu verstehen, aber ohne jede Unterwürfigkeit. Gelingt mir dies und fühlt er sich tatsächlich verstanden, so wird dies bei ihm sofort eine Beruhigung auslösen, die es ihm erst ermöglicht, nun auch mir zuhören zu können. In schwierigen Gesprächen oder Konfliktsituationen führt ein mehrfacher, pendelnder Wechsel dieser beiden Teile der Gewaltfreien Kommunikation dazu, gegenseitiges Verständnis und eine Offenheit für die Suche nach einer Lösung des Konflikts herzustellen.

In unserem Beispiel könnte die aufrichtige Selbstmitteilung von Frau Benz etwa so aussehen: „Als ich heute mit Ihnen über das Auto sprechen wollte, haben Sie gesagt, ich solle Sie in Ruhe lassen (reine Beobachtung). Für mich war das sehr frustrierend (Gefühl), weil ich für mein Anliegen Verständnis brauche (Bedürfnis). Sagen Sie mir bitte, ob wir nochmal darüber sprechen können (konkrete Bitte)." Die Wahrscheinlichkeit ist nun recht hoch, dass Herr Römer zustimmt. Danach könnte Frau Benz wiederum von ihrer Beobachtung (leuchtende Reservelampe), von ihrem Gefühl (Panik und Sorge, dass sie zu spät kommen wird), von ihrem Bedürfnis und einer neuen Bitte sprechen.
 
Und einfühlsames Zuhören könnte so aussehen: „Als ich heute mit Ihnen über das Auto sprechen wollte, haben Sie gesagt, ich solle Sie in Ruhe lassen (reine Beobachtung). Ich möchte Sie fragen (Bitte), ob Sie verärgert sind (Gefühl), weil Sie sich von mir mehr Verständnis für Ihre momentane Situation wünschen (Bedürfnis)?" Sollte dies zutreffen, wird sich die Situation augenblicklich entspannen und Herr Römer ist dann in der Lage, Frau Benz zuzuhören. Falls es nicht zutrifft, kann man einfach einen neuen Empathie-Versuch mit einem anderen Bedürfnis starten.
Was in diesem Beispiel relativ einfach klingt, ist in der täglichen Praxis nicht ganz so einfach, denn wir haben unser ganzes Leben eine andere Konditionierung erfahren. Um diese Gewohnheiten zu überwinden, ist es notwendig, sich zunächst die Komponenten der Gewaltfreien Kommunikation Schritt für Schritt klar zu machen und immer wieder zu versuchen, einzelne Situationen anders anzugehen als bisher. Auch wenn der Dialog zunächst ungewohnt klingen mag, so zeigt doch die Erfahrung, dass es durch eine solche Art zu sprechen gelingt, kritische Situationen in positive Gesprächsstimmung zu verwandeln. Selbstverständlich gilt dies auch für den normalen Fall, dass mein Gegenüber die Gewaltfreie Kommunikation überhaupt nicht kennt. Selbst über Hierarchiegrenzen hinweg funktioniert dies – z.B. wenn ich mit meinem Vorgesetzten spreche.
 
Die richtige Wortwahl im Unternehmen
Eine besondere Herausforderung ist das Ansprechen von Gefühlen im beruflichen Zusammenhang. Obwohl sie ständig präsent sind und unser gesamtes Handeln bestimmen, ist in der heutigen Geschäftswelt für Gefühle kein Platz. Daher ist es ratsam, hier anfangs vorsichtig zu formulieren. Statt von „Angst" kann ich besser von „besorgt" sprechen, statt „traurig" vielleicht „frustriert" sagen, statt „hilflos" besser „irritiert". So kann auch in der Arbeitswelt diese Form des anderen Umgangs miteinander Fuß fassen und es wird sich nach und nach eine deutlich veränderte Kultur und eine entsprechende Zufriedenheit einstellen.
 
Die heutige Arbeitswelt mit ihren Hierarchien und Teamstrukturen ist noch immer geprägt von Machtausübung bzw. deren Erduldung, wobei dies vor allem, aber beileibe nicht nur bei Hierarchieunterschieden gilt. Die Anwendung von Macht hinterlässt jedoch immer Spuren. Dazu sagt Rosenberg: Die Motivation, etwas zu tun, darf niemals die Angst vor Strafe sein. Wer seine Bitte mit der Androhung von Bestrafung versieht und damit die Bitte zur Forderung macht, wird immer dafür bezahlen!
 
Machtausübung ist fast immer ein unglücklicher Ausdruck eines starken Bedürfnisses nach Anerkennung und Wertschätzung. Mit richtig angewendeter Gewaltfreier Kommunikation ist es möglich, die Machtausübung mehr und mehr überflüssig zu machen, weil das dahinter liegende Bedürfnis erkannt und auch benannt wird. Zudem wird durch die entstehende neue Kommunikationskultur dem hierarchisch tiefer Stehenden auf gesunde Art und ohne Angst vor Strafe klar, was von ihm erwartet wird, damit er seinen Teil zur Bereicherung des Arbeitsumfelds (Vorgesetzte, Kollegen, Projekt, etc.) beitragen kann. Dies geschieht dann ohne Furcht, allein aus dem gegenseitigen Verständnis heraus, welches durch das „Fenster" dieses neuen Kommunikationsstils zwischen den Menschen entstehen konnte. Und wenn eine Aufgabe einmal nicht freiwillig erfüllt wird, dann liefert die Gewaltfreie Kommunikation eine Fülle von Möglichkeiten, die Gründe schnell zu klären. Dann können hierarchische Statusunterschiede als Strukturgegebenheiten leicht akzeptiert werden und der Umgang miteinander wird nun nicht mehr durch Machtausübung oder Unterwürfigkeit dominiert. Dies ist ein fundamental neuer Ansatz für das Miteinander im Arbeitsleben. Welche positiven Auswirkungen dies für die betrieblichen Abläufe und die Unternehmenskultur bedeutet, kann sich jeder leicht ausmalen.
 
Weitere Infos

 
Jochen Lorenz
ist als Mediator und Kommunikationstrainer in den Bereichen Wirtschafts- und Familienmediation tätig. Sein Schwerpunkt liegt auf der Gewaltfreien Kommunikation, er hält Vorträge und veranstaltet Seminare dazu sowie zu Konfliktmanagement und Mediation.
 

Wirtschaft | Führung & Personal, 01.07.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2015 - Jahr des Bodens erschienen.
     
        
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