Mit PET-Flaschen Zukunft gestalten?
Ja, das geht!
„Ich bin gerechtigkeitsvernarrt", sagt der Kunststoff-Ingenieur Andreas
Hellmann. Außerdem scheut er keine Risiken. Diese Eigenschaften kann er gut
brauchen, denn der 32-jährige Forscher arbeitet unerschrocken an einem
großartigen und nachhaltigen Projekt in Afrika. Nun braucht er weitere
Unterstützer.
Andreas Hellmann hat große Pläne in Kenia. Er möchte Plastikabfälle und
landwirtschaftliche Reststoffe zu neuen Produkten formen. Dafür gibt es genügend
Arbeitskräfte, Müll und eine neugierige Jugend.
Von Ilona Jerger
Andreas Hellmann plant, in Kenia eine Fabrik zu bauen, in der Kunststoff-Müll
eingeschmolzen und, vermischt mit zermahlenen Reststoffen aus der
Landwirtschaft, zu einem neuen Werkstoff geformt wird. Weiterverarbeitet zu
Brettern, Balken oder Pfählen soll so kostbares Holz als Baumaterial ersetzt
werden.
Wenn Hellmann die Vorteile seines Projekts aufzählt, ist seine Begeisterung
deutlich zu spüren: Das Land wird von den überall herumliegenden PET-Flaschen
und Plastiktüten befreit; das waldarme Kenia muss weniger Holz importieren; arme
Bauern verdienen ein Zubrot, indem sie bisher nicht verwendete Abfälle wie
Reishülsen, Maisspindeln, Zuckerrohrfasern verkaufen können; die Fabrik schafft
Arbeits- und Ausbildungsplätze; Häuser und Zäune, die mit dem Werkstoff gebaut
werden sollen, sind deutlich stabiler als Holzkonstruktionen, da keine Termiten
an ihnen nagen. Zäune übrigens sind in Kenia ein riesiges Thema: Jeder Bauer
muss seine Felder einzäunen, sonst verliert er die Ernte an menschliche oder
tierische Räuber.
Für dieses Kenia-Projekt bekam Hellmann den ersten Preis beim Elevator Pitch des
Fraunhofer-Symposiums „Netzwert" 2015. 25.000 Euro Preisgeld stehen ihm nun als
Startkapital zur Verfügung. Damit will er ein Social Business gründen, also ein
Unternehmen, das nicht nur ökonomisch funktioniert, sondern soziale und
ökologische Ziele verfolgt.
Weil Kunststoffe für die Umwelt problematisch sind, interessierte Andreas
Hellmann sich schon als Student der Kunststoff- und Werkstofftechnik schnell für
das Thema nachwachsende Rohstoffe und gelangte so zum Fraunhofer-Institut für
Holzforschung WKI in Braunschweig, denn das Wilhelm-Klauditz-Institut ist
spezialisiert auf Verfahrensprozesse für Holz- und Faserwerkstoffe,
Umweltforschung und Recycling. Dort wird seit Langem an „holzgefüllten
Kunststoffen" geforscht. Dieses sogenannte WPC (Wood Plastic Composite), ein
Material, das, wie ein Kuchenteig, aus verschiedenen Rezepturbestandteilen
besteht, war fortan Hellmanns Steckenpferd: Mit bis zu 70 Prozent
Naturfaseranteil wird es dann nur noch zu 30 Prozent aus Kunststoff hergestellt.
Denn je mehr Kunststoffe man durch nachwachsende Rohstoffe ersetzen kann, desto
besser.
So wird aus Müll ein Social Business
Und wie kam er auf die Idee mit Kenia? Zunächst war er neugierig auf das Land
mit seiner weiten Natur und seiner berühmten Tierwelt, zudem wollte er ein
Waisenhaus besuchen, das ein Freund 1999 in Kitale gegründet hatte. Kaum war er
2012 in Kenia gelandet, lernte er das „echte Afrika jenseits von Safari" kennen
und sah mit den Augen des Kunststoffwissenschaftlers den überall wild entsorgten
Plastikmüll als wertvolle Ressource, mit den Augen eines überzeugten Christen,
dass hier Hoffnung und Lebensperspektiven für die Menschen entstehen können und
mit den Augen des Naturliebhabers, dass die wenigen noch intakten Wälder
geschont werden könnten. Schnell fügten sich in seinem Kopf die Puzzleteile zum
Bild zusammen. Die Waisen und Straßenkinder übrigens, denen sein Freund eine
neue Heimat gegeben hatte, sind in sein Projekt ebenfalls mit eingebunden. Für
sie, die nun langsam erwachsen werden, will er in seiner Fabrik
Ausbildungsplätze schaffen, um sie in Lohn und Brot zu bringen.
Mittlerweile ist die Suche nach einem Grundstück in Kenia in vollem Gange.
Außerdem gilt es, die vielen Formalitäten zur Firmengründung und zum Bau der
Fabrikgebäude zu erledigen. Und weil in Afrika die Uhren deutlich langsamer
gehen als in Deutschland, braucht das alles viel Geduld. „Was bei uns oft nur
einen Tag dauert, kann dort schon mal Monate brauchen." Hellmann klingt nicht
genervt, wenn er das sagt, er nimmt es hin. Und freut sich schon auf seinen
nächsten Kenia-Aufenthalt im Herbst und seine schwarzen Freunde.
Fraunhofer wird seine Fabrik in Kenia mit einer Anschubfinanzierung
unterstützen. Das ist zwar ein großartiger Anfang, reicht aber bei weitem noch
nicht aus, um den Bau und die notwendigen Maschinen zu bezahlen. Hellmann
braucht für sein Social Business noch weitere Unterstützer und Geldgeber.
Deshalb spricht er mit NGOs, mit Stiftungen und Entwicklungshilfe-Organisationen
wie der GIZ, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Auch
zur UN hat er mittlerweile Kontakte.
Mitten im Gespräch über Business-Pläne und Geldsuche fällt ein vielleicht
entscheidender Satz: „Ich bin gerechtigkeitsvernarrt!" Und er meint damit
Gerechtigkeit sowohl gegenüber Menschen als auch gegenüber Tieren und Umwelt. Er
schiebt noch nach: „Schwächere nicht zu dominieren, sondern ihnen zu helfen, das
ist mein Ziel." Gerade angesichts der dramatischen Vorgänge auf den
Schlepperbooten im Mittelmeer ist er überzeugt, dass es auf die Dauer nur hilft,
vor Ort die Lage der Menschen so zu verbessern, dass sie nicht mehr fliehen
müssen. Und: „Entwicklungsprojekte sind nur nachhaltig, wenn die Menschen
miteinbezogen werden und man ihnen Verantwortung überträgt." Auf die Politik
hofft er dabei kaum noch, er zählt sich eher zu den Politikverdrossenen, die
lieber selbst aktiv werden.
Schaut man sein Projekt an, dem er sich mit Haut und Haaren verschrieben hat,
dann spürt man, dass das keine hohlen Phrasen sind. Andreas Hellmann hat eine
Idee entwickelt, die diesem Ziel sehr nahe kommt. Und er ist guten Mutes, dass
in einem Jahr der Grundstein liegt.
Wer das Projekt auch als Privatperson unterstützen möchte, kann beim
Crowdfunding mitmachen.
Umwelt | Ressourcen, 01.10.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2015 - Ertrinken wir in Plastik? erschienen.
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