Schafft sich die ISO selbst ab?
Vor- und Nachteile der ISO 9001/14001 Revision
Die Revision der ISO 9001 und 14001 soll die Integration der Normen vorantreiben und erweitert gleichzeitig den Verantwortungsbereich der Unternehmen. Das bringt Vorteile, aber auch neue Herausforderungen mit sich. forum zeigte im letzten
Heft die Entstehung der ISO Normen und stellt hier die spannenden Folgen für die
Praxis vor.
Die International Standard Organization (ISO), die internationale Vereinigung
der nationalen Normungsorganisationen, veröffentlicht im Herbst dieses Jahres
die Revision der zwei bekanntesten Normen aus ihrer Standardsammlung: die Norm
zum Qualitäts- (ISO 9001) und Umweltmanagement (ISO 14001).
Ziel der Revisionen ist die bessere Integrationsfähigkeit beider Regelwerke,
denn viele Unternehmen befolgen nicht nur eine der Normen und wünschen sich seit
Jahren eine bessere Vereinbarkeit. Während die Normen derzeit teilweise
unterschiedlich viele Kapitel aufweisen, erhalten sie nun einen einheitlichen
Aufbau in zehn Kapiteln. Zukünftige Überarbeitungen, so beispielsweise der ISO
45001 (Gesundheit und Arbeitssicherheit), die für 2016/2017erwartet wird, und
der Energiemanagementnorm 50001 werden im gleichen Format erfolgen. Dies ist ein
notwendiger und sinnvoller Schritt.
Inhaltliche Neuerungen
Neben der strukturellen Neuordnung der Kapitel wurden auch inhaltliche
Veränderungen umgesetzt. Die neuen Normen 9001 und 14001 fordern verstärkt die
Einbindung von Stakeholdern. Unternehmen müssen zudem Chancen und Risiken ihrer
unternehmerischen Aktivität ermitteln und dabei den Prozess (9001)
beziehungsweise den Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen (14001) in
den Fokus stellen. Auf Basis dieser Bausteine wird in Zukunft der
Anwendungsbereich der Norm abgesteckt. Das bedeutet in der Konsequenz, dass
Systemgrenzen viel weiter gefasst werden müssen als bisher; ausgelagerte
Prozesse und Fertigungsstufen fallen ebenso in den direkten
Verantwortungsbereich des Unternehmens wie die gesamte Lieferkette (siehe
Abbildung).
Weiterhin wird die Führung deutlich stärker in die Pflicht genommen. Das System
soll in strategische Geschäftsprozesse integriert werden; Qualitäts- und
Umweltbeauftragte sind folglich nicht mehr explizit gefordert. Übergeordnetes
Steuerungsinstrument werden Kennzahlen, die für jedes Ziel definiert, erhoben
und regelmäßig bewertet werden sollen. Des Weiteren ist für die Anwendung der
Umweltmanagementnorm eine Kommunikationsstrategie zu formulieren.
Wann müssen die Änderungen umgesetzt sein?
Ab Veröffentlichung der Normen sind Übergangsfristen für die Umsetzung
vorgesehen – drei Jahre für bereits zertifizierte Unternehmen. Für Unternehmen,
die erstmalig eine Zertifizierung anstreben, wurden 18 Monate Übergangszeit
festgesetzt. 2018 werden die „alten" Normen also endgültig abgelöst.
Entscheidenden Einfluss bei der Auslegung der Norminhalte und der
Konkretisierung der Anforderungen an die Unternehmen haben die
Zertifizierungsstellen. Es ist zu erwarten, dass bereits in den
Zertifizierungsaudits 2016 sukzessive mehr Inhalte der neuen Normen angesprochen
und abgefragt werden. Durch die zahlreichen Überschneidungen wäre zudem die
Kürzung der Auditzeiten für integrierte Prüfungen realisierbar. Das würde den
Unternehmen tatsächliche Vorteile verschaffen. Ob die zuständige Stelle, die
Dakks (deutsche Akkreditierungsstelle), eine solche Reduktion umsetzt, bleibt
bisher offen.
Bewertung
Die Normen werden professioneller und anspruchsvoller. Dies ist grundsätzlich zu
begrüßen. Aber entspricht der erwartete Mehraufwand überhaupt noch dem Nutzen,
den eine Zertifizierung mit sich bringt?
Für KMU werden die neuen Anforderungen eine große Hürde darstellen und mehr
Ressourcen binden, insbesondere beim Aufbau der neuen Inhalte und bei der
Anpassung der Dokumentation. Dies könnte zur Folge haben, dass sich Unternehmen
trotz Vorteilen gegen die Einführung oder Rezertifizierung der ISO Normen
entscheiden.
Für große, international tätige Unternehmen gehen die Änderungen Hand in Hand
mit derzeitigen Entwicklungen und Trends im Markt. Die zusätzlichen
Anforderungen bezüglich Stakeholder-Einbindung sowie der Chancen und Risiken des
Geschäftsbetriebs entsprechen den neuen Inhalten des
Nachhaltigkeits-Berichtsstandards G4 der Global Reporting Initiative und der
EU-Bilanzrichtlinie 2014/95/EU. Letztere ist in den nächsten zwei Jahren vom
deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umzusetzen. Die Anpassungen in den ISO
Normen reduzieren an dieser Stelle Doppelarbeiten.
Fazit: Die ISO wird sich mit der Revision nicht abschaffen, sie verlagert aber
ihre Zielgruppe (ungewollt) Richtung Großunternehmen.
Hannah Witting
ist Beraterin bei der B.A.U.M. Consult GmbH mit den Schwerpunkten Klimaschutz
und Nachhaltigkeitsmanagement.
Wirtschaft | Recht & Normen, 01.10.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2015 - Ertrinken wir in Plastik? erschienen.
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