Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) wächst
Schritt für Schritt zum Wohle aller
Allein im deutschen Sprachraum erstellen bereits mehr als 200 Unternehmen eine
Gemeinwohl-Bilanz. Doch auch ohne Bilanzierung können Unternehmen einzelne
Maßnahmen und Merkmale aufnehmen und damit den Betriebsablauf zum Wohle aller
umstellen. Im forum-Interview berichtet Maren Grondey über Möglichkeiten und
Hindernisse auf dem Weg in die GWÖ.
Frau Grondey, wie sind Sie auf die GWÖ gestoßen?
2012 habe ich, eher durch Zufall, einen Vortrag von Christian Felber über
Gemeinwohl-Ökonomie gehört. Damals war ich frische und junge Geschäftsführerin
von Siemer Verpackung. Christian Felber hat mit seinem Vortrag genau meinen Nerv
getroffen. Meine eigenen Werte wie Fairness, Wertschätzung und Kooperation im
menschlichen Miteinander sowie die Achtung der Natur sollten in meinem
Geschäftsfeld zukünftig eine tragende Rolle spielen.
Welche Ansätze finden Sie besonders spannend?
Sehr interessant finde ich das ethische Beschaffungsmanagement. Ich achte nicht
nur beruflich darauf, wo das Produkt herkommt, sondern lege auch im Privaten
sehr viel Wert auf die Herkunft.
Wir produzieren Verpackungen. Dadurch weiß ich häufig, wo Produzenten Ihre
Verpackungen einkaufen. Wenn ich sehe, dass in Billiglohnländern eingekauft
wird, hat das Produkt einen negativen Wert für mich. Auch bei Zeitschriften
schaue ich mir gerne im Impressum an, wo diese gedruckt werden. Eine deutsche
Zeitschrift, in der es ausschließlich um Nachhaltigkeit geht, die Produktion
jedoch in einem Billiglohnland stattfindet, hat von mir auch schon mal einen
entsprechenden Leserbrief erhalten. Ein weiterer Aspekt, der mir sehr an der GWÖ
gefallen hat, sind alternative Arbeitszeitmodelle. Die Idee, ganz Deutschland
hat nur noch eine 30 Stunden Woche als Standard, birgt interessante und gute
Möglichkeiten.
Welche Ansätze haben Sie schon umgesetzt?
Meine Vision von Siemer Verpackung ist ein ökonomisch und ökologisch korrektes
Unternehmen, in dem Wertschätzung, Fairness sowie Kreativität und Kooperation in
Vordergrund stehen.
Ein besonderes Augenmerk legen wir auf ökologische Kriterien. Hierzu zählt auch
100 Prozent Ökostrom zu beziehen. Bereits seit 2008 sind wir, als eines der
ersten Unternehmen in der Verpackungsbranche, FSC-zertifiziert. Seit 2011
produzieren wir klimaneutral und auch hier waren wir Vorreiter.
Selbstverständlich ist für uns der standardmäßige Einsatz von mineralölfreien
Druckfarben sowie der klimaneutrale Einkauf von Maschinen und Fuhrpark. Das
heißt, wir gleichen die Herstellung der Maschinen die wir anschaffen aus und
zusätzlich können Kunden die damit hergestellten Produkte klimaneutral stellen.
Darüber hinaus werden unsere Druckplatten chemiearm entwickelt. Dazu haben wir
die Verwendung von Isopropylalkohol auf vier bis sechs Prozent reduzieren
können. Die Norm in Deutschland liegt bei acht Prozent. Und auch der Einkauf von
Verbrauchsmaterialien, von der Arbeitskleidung über Kopierpapier bis hin zu
Milch und Kaffee, findet durchweg nachhaltig statt.
Wie reagieren die MitarbeiterInnen auf Ihre GWÖ-Impulse?
Um die Umwelt zu schonen, bieten wir aktuell unseren Mitarbeitern E-Bikes oder
Fahrräder an, damit sie das Auto für den Weg zur Arbeit stehen lassen können.
Meine Schwester und ich sind hier Vorbilder und kommen mit dem Fahrrad zur
Arbeit. Die gerechte Verteilung des Einkommens ist in der GWÖ ein Ansatz, der
für uns eine Selbstverständlichkeit ist und den wir auch ohne die GWÖ leben
würden. Aber wir haben, ausgelöst durch die GWÖ, unsere Bank gewechselt und sind
zur GLS Bank gegangen und schauen uns auch unsere sonstigen Lieferanten und
Geschäftspartner sehr genau an: Wo kommen die Produkte her? Was ist das für ein
Unternehmen? Passt der Lieferant zu uns?
Wir bieten unseren Mitarbeitern jegliche Art von Arbeitszeitmodellen an. Wenn
jemand reduzieren möchte oder auch die Arbeitszeit erhöhen möchte, versuchen wir
es nach den Wünschen des Mitarbeiters umzusetzen. Jeder Mitarbeiter hat die
Möglichkeit zusätzlich unbezahlten Urlaub zu nehmen. Hierarchien haben wir
abgeschafft, die Mitarbeiter arbeiten mehr eigenverantwortlich in der
Produktion. Ich glaube die Mitarbeiter fühlen sich hier sehr wohl.
Durch den Umzug 2014 in neue Räumlichkeiten haben die Mitarbeiter einen größeren
Pausenraum bekommen. Die Büroräume sind fast schon Designräume. Tolles Licht mit
gewachstem Holzfußboden.
Für mich ist die Umsetzung der GWÖ ein ständiger Prozess. Ich bin stolz darauf,
dass wir einiges umgesetzt haben. Ideen gibt es noch sehr viele. Meine Vision
ist es ein nachhaltiges, ethisches Unternehmen zu kreiern.
Welche Hürden für die Umsetzung von GWÖ gibt es in Unternehmen?
Nehmen wir die 30 Stunden Woche. In der Druckbranche beträgt die Regelzeit 38
Stunden. Viele von unseren Mitbewerbern arbeiten sogar mehr als 38 Stunden. Wir
haben die 37 Stunden Woche. Meine Mitarbeiter würden bestimmt alle auf 30
Stunden gehen, jedoch wollen sie nicht auf Ihr Gehalt verzichten. Wenn ich
diesen Punkt umsetzen würde, müsste ich, bei gleichbleibenden Gehältern, die
Preis um circa 25 Prozent erhöhen. Dann wären wir nicht mehr wettbewerbsfähig.
Ein weiterer Punkt ist für mich der mangelnde Bekanntheitsgrad der GWÖ. Und ich
wünsche mir Synergien durch das GWÖ Netzwerk. Bis vor kurzem war es kaum
möglich, potentielle GWÖ-Kunden zu finden. Das hat sich seit diesem Jahr
geändert. Es gibt auf der Internetseite der GWÖ eine Landkarte, auf der ich
aktive Gruppen und Unternehmen finden kann. Jetzt kann ich nach Branche und
Mitarbeiterzahl filtern. Damit findet man Unternehmen zum Austausch und auch
neue Kunden.
Wann werden Sie die erste GWÖ-Bilanz erstellen?
Wir sind Unterstützer der GWÖ, haben jedoch noch keine Bilanz erstellt. Die
größte Hürde für die Bilanzerstellung ist die Zeit. Ich kann ja schon einiges im
Alltag tun, ohne es mit einer Bilanz in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Bilanz
wäre das i-Tüpfelchen.
Was empfehlen Sie Unternehmen, die sich für GWÖ interessieren und ganz am Anfang
stehen?
Genau das, was wir auch machen. Wir haben zwar keine Bilanz, stellen jedoch
schon jetzt Kleinigkeiten um, die eine bessere Bilanz zur Folge haben. Und dann
sollten Unternehmen bei der GWÖ kooperieren. Sich gegenseitig als bevorzugte
Geschäftspartner sehen! Denn so muss man für seine Werte nicht auf Umsatz
verzichten, sondern kann gemeinsam für das Gemeinwohl wirtschaften.
Was wünschen Sie der GWÖ?
Die GWÖ muss bekannter werden. Mehr Unternehmen sollten eine Bilanz erstellen
bzw. Unterstützer werden. Gleichzeitig sollte der Zeitaufwand möglichst gering
bleiben. Sonst kann man zwar an sich arbeiten, aber andere kaum inspirieren und
mitziehen. Auf alle Fälle ist die GWÖ eine wunderbare Inspiration für unser
Unternehmen.
Maren Grondey
ist Überzeugungstäterin und Unternehmerin mit Herz. Gemeinsam mit Ihrer
Schwester Laura Grondey leitet sie die Siemer Verpackung GmbH in der vierten
Generation. Die „jungen Schachteln", wie sich Siemer Verpackung frech fröhlich
auch nennt, produzieren hauptsächlich Verpackungen für Premiumprodukte der
Konsumgüterindustrie.
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.10.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2015 - Ertrinken wir in Plastik? erschienen.
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