Gesundes Büro, gesunde Mitarbeiter
Wandfarbe, die man essen kann
Außer im Schlafzimmer verbringen viele Menschen den größten Teil ihres Tages im
Büro, wo sie vielen verschiedenen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind. Elektrosmog
ist einer davon, forum berichtete in der Ausgabe 1/2015 über die Auswirkungen
und die Möglichkeiten, sich zu schützen. Was wenig beachtet wird, sind
Giftstoffe, die von Teppichen, Möbeln und Wandfarben abgegeben werden und
Innenräume und damit die Gesundheit der Mitarbeiter belasten.
Viele Personalverantwortliche und Chefs legen Wert auf Gesundheitsprogramme für
Mitarbeiter. Das Spektrum reicht von hochwertigem Bio-Essen in der Kantine, über
Körper-Check-ups bis zum Firmen-Yoga. Doch der „dritten Haut" des Menschen –
nämlich den Räumen – wird noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Möbel und
Bodenbeläge werden meist nur nach Aussehen und Preis gekauft. Nicht anders ist
es bei Wandfarben und Putzen: „Wir müssen leider häufig auf preisgünstige
Dispersionsfarbe zurückgreifen, um den Preisvorstellungen der Firmenkunden
gerecht zu werden", so Judith Felber, Malermeisterin in München. „Bei
Ausschreibungen zählt immer noch das billigste Angebot." Doch die
Sensibilisierung für natürliche und geprüfte Produkte wächst stetig.
Silikatfarben haben bereits größere Marktanteile erobert. Kalk, Lehm und vor
allem Ton sind deshalb die neuen Favoriten für gesunde Räume und biologisches
Bauen.
Lehm, der Baustoff unserer Ahnen
Während Lehm und Stroh früher als Baumaterial der Armen angesehen wurden,
erlebten diese Baustoffe – nicht zuletzt durch das Engagement des deutschen
Pionierunternehmens Claytec – eine ungeahnte Renaissance. Dank ihrer hohen
Aufnahmefähigkeit von Feuchtigkeit und weiteren hervorragenden
Produkteigenschaften werden Lehmbaustoffe und vor allem Lehmputze und -farben
immer häufiger, gerade auch in modernen, hochgedämmten Bauten eingesetzt.
Hauchdünne Edelputze, abgetönt mit Naturpigmenten oder ergänzt um
Pflanzenfasern, ergeben hervorragende Möglichkeiten für Wandgestaltungen. Eine
andere Möglichkeit, die gesundheitsfördernde Wirkung von Lehm und eine optisch
anspruchsvolle Gestaltung zu erzielen, ist die Verwendung von Stampflehm oder
Lehmziegeln zum Beispiel als repräsentativer Bestandteil von Ladeneinrichtungen
oder für den Innenausbau. Im HUB München wurden in eine große Halle Büro- und
Besprechungsräume aus Holz und Lehmziegeln eingebaut und sorgen so für ein
angenehmes Klima und individuell gestaltete Räume.
Moderner Ladenbau setzt auf Natur
Der Schmuckhersteller Niessing und der Textilanbieter hessnatur haben bei der
Gestaltung ihrer Niederlassungen und Verkaufsräume ebenfalls auf Lehm gebaut.
Waren es bei dem Schmuckhersteller überwiegend materialästhetische und haptische
Aspekte, die zur Nutzung des gleichermaßen archaischen wie modernen Baustoffs
führten, so standen für hessnatur darüber hinaus die Aspekte Ökologie und
Nachhaltigkeit im Vordergrund.
Den ersten Stampflehmtresen errichtete der Lehmbauspezialist Thomas Glück Anfang
2014 im hessnatur Konzept-Laden in Frankfurt. Im Mai 2014 wurde auch der
hessnatur Konzept-Laden in der Modemetropole Düsseldorf mit einem solchen
ausgestattet. Das Naturmaterial sorgt für ein angenehmes Raumklima und lässt
sich zu 100 Prozent wiederverwenden. Im nachhaltigen Ladenbau müssen Schadstoffe
einfach Hausverbot haben. Von den Möbeln, über das Visual Merchandising bis hin
zur Kommunikation mit den Kunden – alles sollte ökologisch und durchdacht sein.
Hast Du noch Töne? Wandfarbe, die man essen kann
Die positiven Auswirkungen auf das Innenraumklima sind von den Lehmbaustoffen
her bekannt. Entscheidend für die Wirkung ist das natürliche Bindemittel des
Lehms, der Ton: Je höher der Tonanteil, desto besser für das Raumklima.
Reiner Ton, auch Heilerde genannt, wird bekanntlich seit Jahrtausenden als
Heilmittel sowie zur Schönheitspflege hochgeschätzt. Reiner Ton hat aber auch
eine einzigartig positive Wirkung auf das Raumklima, was sowohl die optimale
Regulierung der Luftfeuchtigkeit als auch die Schadstoffaufnahme betrifft. Der
österreichische Tonputzhersteller Emoton hat das erkannt und entwickelt Putze,
Spachtel und Wandfarbe aus reinen Tonen, die in Österreich im Bergwerksbetrieb
viele Meter unter der Erdoberfläche gewonnen werden und damit keine organischen
Stoffe wie Wurzeln oder Gräser enthalten.
In einer Forschungsarbeit der
Holzforschung Austria wurde die Absorption von schädlichen flüchtigen,
organischen Verbindungen, verursacht durch Teppiche, Klebstoffe, Glasreiniger
und anderes, gemessen. Das erstaunliche Resultat: Schon nach 24 Stunden wird die
1.000-fache Giftstoffmenge des Grenzwertes von Formaldehyd durch Tonputz aus der
Luft absorbiert, selbst unter Extrembedingungen. Damit übertreffen reine
Tonfarben und -putze nochmals die bereits hervorragende Absorptionskapazität von
Lehmprodukten. Tone haben eine extrem hohe luftreinigende Wirkung, da eine große
Bandbreite von Luftschadstoffen von ihnen aufgenommen werden kann. Der
Naturbaustoff hat die am stärksten ausgeprägte Fähigkeit, ein Zuviel an
Luftfeuchtigkeit aufzunehmen, zu speichern und bei Bedarf wieder abzugeben, wenn
die Raumluft zu trocken wird, und verhindert zudem eine elektrostatische
Aufladung der Wandflächen, wodurch die Staubbildung im Raum deutlich verringert
wird. Nicht nur von Menschen mit Allergie-Neigung wird das als besonders
angenehm empfunden. Anders als bei Lehmprodukten sind in Tonfarben auch keine
Pflanzenreste zu finden, wodurch ein Schimmelrisiko nochmals deutlich reduziert
wird. Ton bewirkt darüber hinaus eine wohltuende Ionisation der Raumluft, so wie
man es von Aufenthalten am Meer oder in den Bergen kennt. Eine gute Ionisation
soll bekanntlich die Erholungsfähigkeit und das Wohlbefinden steigern.
Last but not least: Ton kann Wärme speichern: Die Wandoberflächen sind in der
Heizperiode angenehm warm. Im Sommer hingegen entsteht durch die Verdunstung von
Restfeuchte eine angenehme, leicht kühlende Wirkung. Der Vorteil auch für eine
nachträgliche Verwendung des Materials bei der Renovierung und Raumgestaltung:
Tonputze können in einer dünnen Schicht auf Wände aufzogen werden, Tonfarben
sind einfach mit Pinsel oder Rolle aufzutragen. Tonspachtel ermöglicht die
Gestaltung von Büros und gewerblichen Räumen in vielen Naturfarben oder ganz
schlicht in Weiß mit verschiedenen Oberflächenstrukturen von rustikal-gemütlich
bis puristisch-modern. Die Verarbeitung erfordert keine besondere
Lehmbau-Erfahrung und kann von jedem Maler, Putzer und auch fachkundigen Laien
vorgenommen werden.
Wiederentdeckt: Naturkalkfarben
Kalkfarben und –putze gehören zu den erfolgreichsten Baustoffen aller Zeiten und
erleben in der Wand- und Fassadengestaltung eine Renaissance. Durch Brennen bei
1.000 °C und „Löschen" mit Wasser entsteht Sumpfkalk, durch Trocknen das
pulverförmige Kalkhydrat, das durch Anrühren mit Wasser zum Anstrich wird. Für
die gewünschte Farbgebung werden rein natürliche Pigmente beigemischt. Das
Angebot ist umfangreich, allerdings enthalten billige „Kalkprodukte" oft nur
einen verschwindend geringen Kalkanteil. Es werden künstliche, organische
Zuschlagstoffe verwendet, die die Verarbeitung vereinfachen sollen, aber – wie
im Lebensmittelbereich – die Produkte zum Nachteil der Verbraucher und deren
Gesundheit verfälschen. Bevorzugen Sie deshalb bei Ausschreibungen Produkte von
Herstellern, die ihre Inhaltsstoffe angeben. So wie Haga, ein kleiner Schweizer
Hersteller, der seine Produktzusammensetzung voll deklariert und reinen
Naturkalk nach alten Traditionen und Rezepturen verarbeitet. Verwendet wird
dabei ausschließlich Kalkstein aus den Schweizer Alpen mit einem hohen
Reinheitsgrad (98 Prozent Calciumcarbonat). Aber auch deutsche
Naturfarbenhersteller bieten eine hohe Qualität und die Volldeklaration ihrer
Inhaltsstoffe.
Kalk lässt Schimmel keine Chance
Die gesündeste und wirkungsvollste Art, Schimmel und Bakterien in Wohn- und
Arbeitsräumen zu bekämpfen, ist es, die Selbstheilungskräfte der Natur zu
nutzen. Naturkalk entzieht Schimmelpilzen den benötigten Nährboden. Das
Schimmel-Wachstum wird nämlich stark vom pH-Wert der Oberflächen beeinflusst.
Die meisten Schimmelpilze wachsen in einem Bereich zwischen pH 3 und 9. Tapeten
und übliche Anstriche weisen beispielsweise oft einen pH-Wert zwischen 5 (z.B.
Raufasertapete) und 8 (z.B. Kunstharz-Dispersionsanstrich) auf. Das sind ideale
Nährböden für die Schimmelbildung. Naturkalk-Anstriche und –Putze weisen
pH-Werte von 11, 12 und mehr auf und sind damit auf natürliche Weise gegen
Schimmel resistent. Ähnliches gilt für Bakterien. Darüber hinaus reguliert der
dampfdiffusionsoffene Kalkputz durch sein feines Kapillarsystem auf sehr
effektive Weise die Luftfeuchtigkeit im Raum. Frische Luft und angenehmes
Raumklima sind die Folge. Mit seiner hohen Diffusionsoffenheit und sehr guten
Feuchtigkeitsregulation eignet sich Naturkalkputz auch hervorragend für die
Fassadengestaltung. Er kann sehr viel Feuchtigkeit aufnehmen und später durch
Verdunstung wieder abgeben. So wird Algen und Pilzen die Wachstumsgrundlage
entzogen.
„Kalk ist ein Material, dem ich mich mit großer Leidenschaft verschrieben habe",
erklärt Stefan Anton Pixner, Geschäftsführer der Firma Pixner GmbH in Münsing,
ein Unternehmen für die Verarbeitung natürlicher Oberflächen und die Fachplanung
von Farb- und Milieugestaltungen. „Wir beschäftigen uns mit der
farbpsychologischen Wirkung von Schulen, Gewerbeprojekten, denkmalgeschützten
Gebäuden und Bioläden sowie auch privaten Wohnräumen und schätzen dabei Kalk
sehr." In seinem Buch, „Kalkfarben, Kalkspachtel", zeigt Pixner einen
Querschnitt von Herstellern, Verarbeitern und vielen Praxisbeispielen aus dem
gesamten Alpenraum und gibt damit hilfreiche Anregungen für den Umgang mit dem
traditionsreichen Baustoff und Farbträger.
Weitere Informationen:
Lifestyle | Einrichten & Wohnen, 01.10.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2015 - Ertrinken wir in Plastik? erschienen.
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