Preisgekrönte Vision einer maritimen Müllabfuhr
Manchmal sind es kleine Ideen, die große Karriere machen.
Manchmal sind es kleine Ideen, die große Karriere machen. So auch die Idee von Günther Bonin, 59, seines Zeichens mittelständischer IT-Unternehmer aus Garching bei München und passionierter Segler auf den Weltmeeren. Ihn nervte, was er auf seinen Segeltörns immer öfter und selbst an entlegensten Plätzen treiben sah: große Mengen Plastikmülls. Geschätzte 150 Millionen Tonnen Plastikmüll treiben heute in den Weltmeeren. Vom ersten Beschluss, dagegen etwas zu unternehmen, bis heute sind knapp fünf Jahre vergangen. Bonin gründete 2011 die Umweltorganisation One Earth – One Ocean e.V., die sich als „maritime Müllabfuhr" die Reinigung der globalen Gewässer vom Plastikmüll auf ihre Fahnen geschrieben hat. Inzwischen hat sich der Fokus geweitet und OEOO arbeitet auch an Verfahren, Öl und Chemikalien aus dem Wasser zu holen.
April 2009: Günther Bonin steht am Ruder der „Samarkand" und hält Wache. Die legendäre Bilderbuch-Segelyacht aus dem Jahr 1958 steuerte schon Ted Kennedy. Bonin soll sie für den Schiffseigner von Vancouver nach San Diego überführen. Für den IT-Unternehmer und leidenschaftlichen Segler eine schöne Gelegenheit für einen Törn. Es ist eine sternenklare Nacht im Pazifik, rund hundert Seemeilen vor der Küste. Plötzlich reißt ihn ein kräftiges Ausatmen wie von einem gigantischen Chor aus seinen Gedanken. Wale! Eine ganze Schule bewegt sich auf das Schiff zu. Die Gischt-Fontänen heben sich hell glitzernd gegen den schwarzen Himmel ab. Mächtige Rücken gleiten sanft durch das Wasser, dicht am Boot vorbei. Es sind Grauwalkälber, gefolgt von ihren Müttern, die in die kalten Futtergebiete im Norden ziehen. „Ein magischer, friedlicher Moment. Einfach fantastisch, diese Giganten so unmittelbar zu erleben", erzählt Günther Bonin. Doch er kann noch etwas erkennen, dessen ganzes Ausmaß sich ihm erst bei Tageslicht offenbart: Der Pazifik ist voller Müll. Der Bug der Samarkand teilt ein Meer aus Plastikplanen, zerfetzten Tüten, Plastikflaschen, Küchenabfällen, vermutlich frisch entsorgt von einem Frachter oder Kreuzfahrtschiff.
Die Verschmutzung der Weltmeere, Flüsse und Seen mit Müll – zu fast zwei Dritteln Kunststoffe – ist eine der größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Aktuellen Schätzungen von Wissenschaftlern zufolge treiben in unseren Ozeanen bereits bis zu 150 Millionen Tonnen Plastikmüll. Und jedes Jahr kommen weitere 6,5 Millionen Tonnen hinzu. Bei diesen Zahlen wundert es nicht, dass es riesige Müllteppiche aus Plastik gibt, der größte davon – genannt "great pacific garbage patch”-treibt im Pazifik und ist so groß wie Mitteleuropa.
Doch Plastikmüll im Meer verschwindet nicht einfach, sondern überdauert Jahrzehnte und wird durch Zersetzung und mechanische Einflüsse in kleinste Partikel -das so genannte Mikroplastik – zerrieben, die sich überall verteilen und nicht mehr entfernt werden können. Meerestiere und Vögel fressen das Plastik und gehen oft jämmerlich daran zugrunde. Und durch die schleichende Einwirkung auf die Nahrungskette bedrohen Plastikbestandteile wie beispielsweise Weichmacher auch uns Menschen. Schreitet die Verschmutzung im derzeitigen Tempo weiter voran, werden die Meere in wenigen Jahren vollständig vermüllt sein.
Für Günther Bonin wurde dieser Segeltörn 2009 entlang der Westküste der USA zum Wendepunkt in seinem Leben. „Seit 40 Jahren sehe ich nun schon Müll in den Ozeanen. Immer hat es mich genervt, aber dann hat es plötzlich ,klick‘ gemacht", sagt der heute 59Jährige. „Nach dieser Reise fing ich an zu recherchieren und fand heraus, dass zu Plastikmüll nur punktuell geforscht wird. Es gab nichts Flächendeckendes. Auch keine Technologien, um Plastikmüll aus dem Meer zu holen." Für ihn war das der Anlass, selbst aktiv zu werden. Der vielseitig begabte Bonin zeichnete erste Entwürfe eines Reinigungsschiffes, den „Seehamster 01", und gründete die Organisation „One Earth One Ocean". Bonin will den Kunststoff aus den Ozeanen fischen und in Öl zurückverwandeln.
Er suchte sich ein Expertenteam zusammen: Meeresbiologen, den Schiffskonstrukteur Thomas Hahn, der bei BMW Oracle das Siegerschiff des America Cup mitkonstruierte, den Werft-Inhaber Dirk Lindenau, den Metallbauer Michael Lingenfelder und scharte zudem rund hundert freiwillige Helfer um sich. Den Arbeitsaufwand für dieses Projekt unterschätzte er zunächst, begriff aber schnell, dass er mit seinem Vorhaben im Nebenjob-Modus nicht weiterkommt und ließ seine IT-Firma seitdem ruhen.
Zuhause bei Günther Bonin. Ein praktisch eingerichtetes Reihenhaus mit einem kleinen Garten gepflegter Wildnis. Freundin Birgit setzt Kaffee auf, Labradormischling „Motte" hat sich zu unseren Füßen eingerollt. Es ist eine gemütliche Basis, hier in Germering bei München, in die Bonin von seinen zahlreichen Terminen in Sachen „maritime Müllabfuhr" gern zurückkehrt. An den Wänden Weltkarten, Bilder von Segelschiffen, darunter Bonins erstes Boot, die „Bondo" – Spanisch für Vagabund. Auf der fuhr er bereits mit 18 Jahren allein „das Mittelmeer rauf und runter". Den Abenteurer konnte er sich bis heute erhalten – Dreitagebart und das ausgewaschene T-Shirt mit dem „Safe our Seas"-Aufdruck stehen ihm.
Die Begeisterung für den Wassersport hat ihm sein Vater früh mit auf den Weg gegeben, genau wie die erste Jolle. Er erinnert sich: „Meine Mutter war nicht gerade begeistert, als wir in der Biggetalsperre kenterten und ihr sechsjähriger Sohn noch nicht schwimmen konnte." Aber in seiner Familie – er stammt aus Siegen in Westfalen – herrscht ein freier Geist. Man ist aufgeschlossen für neue Ideen und ihre Umsetzung. Sein Vater, eigentlich Architekt und Städteplaner, erfand Anfang der 70er Jahre nebenbei die Wandheizung mit ihrer angenehmen, staubarmen Wärme, und in den Achtzigern auch noch den schwenkbaren Kiel für Segelboote. Zwei von Bonins fünf Schwestern wurden ebenfalls Architektinnen. Wie war das auszuhalten, eingezwängt zwischen zwei älteren und drei jüngeren Mädchen? Er lacht amüsiert: „Ich war immer draußen. Daher kommt wohl auch meine Leidenschaft für die Natur."
Nachhaltiger Umweltschutz und Cleantech at its best
Es gibt viele, die vom Umweltschutz reden. Viele Träumer. Günther Bonin gehört nicht dazu, er ist ein Anpacker. Einer der es ernst meint, ohne verbissen zu sein. Mit Freude, Durchhaltevermögen und einem klaren unternehmerischen Konzept. Das Ziel seiner Organisation „One Earth – One Ocean e.V." ist eine „maritime Müllabfuhr". Ihre Vision: die Rückführung des Plastiks in den Wertstoffkreislauf.
Sein Konzept gliedert sich in mehrere Stufen: In einem ersten Schritt wird der Plastikmüll mit speziell von ihm entwickelten Reinigungsschiffen unterschiedlicher Baugröße aus den Gewässern eingesammelt, sortiert und zerkleinert. Der Müll wird dabei in engmaschigen Fangnetzen gesammelt, die unter den Sammelschiffen angebracht sind. Geplant sind vier unterschiedliche Schiffsgrößen: vom kleinen Katamaran für Binnengewässer bis hin zu hochseetauglichen Müllsammelschiffen, die in einigen Jahren – angetrieben durch moderne Wind-und Solar-Technologien – das Plastik aus den Gewässern „grasen" und die vollen Netze mit GPS-Peilsender und Bojen ablegen. Diese werden dann von Schiffen eingesammelt und ihr Inhalt nachhaltig recycelt. Allerdings sind hochseetaugliche Sammelschiffe erst in einem späteren Projektstadium geplant. Trennung und Recycling des Plastikmülls erfolgen vorerst noch an Land. Doch in einer späteren Phase könnte das gesammelte Plastik direkt an Bord von Frachtern in industriellem Maßstab in Öl rückverwandelt werden. „Aus einer Tonne Kunststoffmüll lassen sich umweltschonend etwa 900 Liter schwefelfreies Öl rückgewinnen", erklärt Bonin. Mit entsprechenden Verfahren der Kunststoffverölung wird so aus Wohlstandsmüll eine wertvolle Ressource und aus der Utopie eines Idealisten ein interessantes Geschäftsmodell und Cleantech at its best.
Natürlich ist noch vieles Vision, doch erste Schritte sind mittlerweile getan und die maritime Müllabfuhr nimmt bereits konkrete Formen an. So gibt es von den „Seehamstern" inzwischen die dritte Generation kleiner Katamarane von etwa vier Metern Länge und zwei Metern Breite für die Reinigung von Binnengewässern. Der Müll wird dabei in Netzkörben gesammelt, die unter dem Schiff angebracht sind. Im Frühjahr 2015 wurde dann mit dem Bau der ersten „Seekuh" begonnen, eines größeren Katamarans mit etwa 12 x 10 Metern zur Reinigung von Binnengewässern, Flussmündungen und küstennahen Abschnitten. Die erste Seekuh, die derzeit in einer Werft in Lübeck gebaut wird, ist containergerecht konstruiert, das heißt, sie kann zerlegt und in einem 40"-Container verstaut werden, um damit weltweit verschickt und eingesetzt werden zu können. Thomas Hahn, der bei Oracle das Siegerschiff des America’s Cup mitkonstruierte, unterstützt den Verein auch bei der Entwicklung der Müllschlucker-Schiffe.
Ist ein Seekuh-Netz, ein meterlanger, mit Peilsender versehener Schlauch, gefüllt, wird er zugezogen, abgetrennt und der nächste befüllt. „Farmerschiffe" sammeln die schwimmenden Müllsäcke auf und bringen sie zum „See-Elefanten", einem zum Energieschiff umgebauten Frachter. Auf ihm wird der Inhalt sortiert, zerkleinert und in Öl umgewandelt; die See-Elefanten könnten Schiffe dann direkt auf dem Meer betanken. „Natürlich können wir heute noch nicht losziehen und die großen Müllstrudel der Weltmeere reinigen. Um allein den Müllstrudel "great pacific garbage patch” nördlich von Hawaii zu reinigen, wären Hunderte „Seekühe" vonnöten", erklärt Bonin. „Aber im Kleinen können wir bereits zeigen, wie unser Konzept funktioniert, um dann große Lösungen zu produzieren." Schritt für Schritt, sagt Günther Bonin. Als nächsten großen Schritt werden sie im Frühjahr 2016 die „Seekuh 01" vom Stapel lassen.
Große Entsorgungs-Unternehmen haben bereits Interesse angemeldet, den gesammelten Müll europaweit abzunehmen. Einleuchtend, wenn man bedenkt, dass allein an den Küsten Schleswig-Holsteins jährlich ungefähr 240.000 Tonnen Müll anfallen, überwiegend Plastik.
Wohlwollendes Interesse auf Seiten der Industrie
Dass Günther Bonin mit seinem Konzept richtig liegt und den Nerv der Zeit trifft, wurde ihm im August 2013 offiziell bestätigt: Die Jury des GreenTec Award zeichnete seine Umweltorganisation One Earth – One Ocean e.V. mit dem renommierten Umweltpreis aus. Die GreenTec Awards sind Europas größter Umwelt-und Wirtschaftspreis, in dessen Rahmen jährlich die innovativsten grünen Produkte, Projekte und Umwelttechnologien in verschiedenen Kategorien ausgezeichnet werden. Für One Earth – One Ocean e.V. war der Gewinn des Awards eine wertvolle Gelegenheit, um seine Vision einem breiten Publikum bekannt zu machen. Denn natürlich ist der gemeinnützige Verein bei der Umsetzung seiner Idee auf großzügige Spendengelder aus Wirtschaft und Industrie angewiesen. Die Deutsche Telekom AG ist seit Jahren ein regelmäßiger Sponsor, der sich mit bedeutenden Beträgen beteiligt, aber auch mehr als 100 weitere Unternehmen und Privatpersonen unterstützen das Projekt in unterschiedlicher Weise. Bonin hofft aber, dass auch andere Unternehmen und Investoren erkennen, wie wichtig sein Vorhaben für die Zukunft ist – und wie wirtschaftlich interessant. Plastik ist ein wertvoller Rohstoff, das ist das Gute an diesem großen Umweltproblem. „Wir müssen weg von einer Vergeudungswirtschaft und hin zu einer Kreislaufwirtschaft."
"Ertrinken im Plastik. Es gibt einen Ausweg!" - weitere spannende Beiträge zum Thema Plastik im Meer lesen Sie in der aktuellen forum Ausgabe 04/2015 .
Am besten gleich bestellen! |
http://www.oneearth-oneocean.com/
Bettina Kelm und Frank Brodmerkel, freie Autoren
SPENDENAUFRUF
One Earth – One Ocean e.V. ist eine gemeinnützige Umweltorganisation aus München, die sich der Reinhaltung von Gewässern verschrieben hat. Dabei stehen derzeit vier Projekte im Mittelpunkt:
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Das Sammeln von Plastikmüll aus Binnengewässern und Meeren mit entsprechend konzipierten Reinigungsschiffen sowie die Rückführung des Plastiks in den Wertstoffkreislauf.
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Die Reinigung öl- und chemikalienverseuchter Gewässer mit Hilfe eines umweltfreundlichen Bindemittels am Beispiel des Nigerdeltas/Nigeria
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Forschung zum Thema Mikroplastik, also kleinster Kunststoffpartikel, wie sie inzwischen weltweit in Gewässern zu finden sind, Analyse und Aufbau einer weltweiten Datenbank zu Qualität und Quantität der Verschmutzung durch Mikroplastik in Kooperation mit der Hamburger Container-Linienreederei OPDR, die regelmäßig Wasserproben nimmt.
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Aufbau und Pflege einer internationalen Wissensdatenbank zum Thema Meeresmüll im Web mit mehreren hundert aktuellen wissenschaftlichen Studien aus aller Welt
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One Earth – One Ocean e.V.
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Umwelt | Umweltschutz, 12.11.2015
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