Die Wissensrevolution
Big Data und nachhaltige Entwicklung
Methoden zur Analyse von Massendaten, kurz Big Data, bringen nicht nur wirtschaftlichen Nutzen. Auch Nachhaltigkeit eignet sich als Anwendungsfeld, auf dem Big Data sein volles Potenzial abrufen kann. Mitunter lassen sich nun sogar solche Aufgaben neu angehen, die lange Zeit unlösbar schienen.
Der Kampf gegen die Sklaverei ist eine solche Aufgabe. Selbst konservative Schätzungen gehen von mindestens 20 Millionen Menschen aus, die in völliger Rechtlosigkeit Zwangsarbeit leisten. Ihren Ausbeutern bringen die modernen Sklaven, nicht selten sind es Kinder, Erlöse von bis zu 150 Milliarden US-Dollar. Eher sporadisch dringen Informationen darüber an die Öffentlichkeit, so etwa in Form von Berichten über den Abbau von Konfliktrohstoffen im Kongo. Doch in den meisten Fällen entzieht sich Zwangsarbeit unseren Blicken. Das Geflecht der globalen Wertschöpfungsketten ist zu tief gestaffelt, als dass sich die Rolle von sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen darin noch ohne weiteres erkennen ließe.
Die Non-Profit-Organisation Made in a Free World (MIAFW) will sich mit dieser Black-Box-Situation nicht länger abfinden. In einer für jedermann frei zugänglichen Datenbank schlüsselt MIAFW Rohstoffe, Waren und Dienstleistungen auf, deren Wertschöpfung in einem nachweisbaren Zusammenhang mit Sklavenarbeit stehen. Aktuell umfasst die Datensammlung 54.000 Wirtschaftsgüter. Unter der Internetadresse madeinafreeworld.com kann nun jeder die Folgen seines Kaufverhaltens überprüfen. Endverbraucher schaffen das mit wenigen Eingaben.
Sklaven in der Lieferkette
Größere Unternehmen haben es mit ungleich vielfältigeren Beschaffungsvorgängen zu tun, so dass ein Abgleich mit den Sklaverei-Daten erheblich komplexer ist. Damit den zuständigen Einkäufern keine zusätzliche Arbeit entsteht, bietet MFIAW eine Reihe von Werkzeugen, mit denen sich die Analyse automatisieren lässt. Beispielsweise kooperieren die Sklavereigegner mit dem Internet-Handelsnetzwerk Ariba. Allein dessen Kunden geben im Jahr 12.000 Milliarden US-Dollar für Waren und Dienstleistungen aus. Unternehmenskunden bietet Ariba die Möglichkeit, die Informationen ihres Beschaffungswesens mit den Informationen von Made in a Free World vollautomatisiert abzugleichen.
Das Beispiel zeigt das Potenzial innovativer Informationstechnologien, nachhaltige Entwicklungen ein entscheidendes Stück voranzubringen: Indem Big Data komplexe Daten aus unterschiedlichsten Quellen zusammenführt und in Echtzeit analysierbar macht, werden völlig neuartige Erkenntnisse möglich. Neuartig deshalb, weil herkömmliche Analysemethoden nicht einmal näherungsweise in der Lage sind, eine ähnlich hohe Zahl an Korrelationen in ein zusammenhängendes Rechenmodell zu bringen, das sich in vertretbarer Zeit auswerten lässt.
Rückenwind von den Vereinten Nationen
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gilt sicherlich nicht als jemand, der zu Übertreibungen neigt. Doch angesichts dieser Potenziale spricht er von einer Datenrevolution, die der Welt machtvolle Werkzeuge gibt, eine nachhaltigere Zukunft herbeizuführen. Um die neuen Möglichkeiten systematisch zu erschließen, setzten die Vereinten Nationen im August 2014 die Independent Expert Advisory Group on the Data Revolution for Sustainable Development ein. Dem 24-köpfigen Beratungsgremium gehören Vertreter aus Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft, Wissenschaft, Politik und internationalen Organisationen an.
Daten teilen
Die bislang wichtigste Empfehlung der Advisory Group ist der Aufbau eines Informations-Pools, der sich aus möglichst vielen unterschiedlichen Datenquellen speist. Ziel ist der freie Zugang aller Menschen zu einem Maximum an belastbaren Informationen. Wesentlich ist dabei auch ein kontinuierliches Monitoring der 17 Nachhaltigkeitsziele Sustainable Development Goals (SDG), die sich die Vereinten Nationen Ende September 2015 in New York gesteckt haben.
Präzisere, aktuellere Entscheidungsgrundlagen
Das vorrangige Ziel dieser beispiellosen Partnerschaft liegt darin, die Entscheidungsprozesse zu fördern, die zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele erforderlich sind. Aktuell ist die Informationslage stark eingeschränkt. Historisch bedingt operieren alle wichtigen Akteure in jeweils getrennten Datensilos. Zudem weisen fast alle Quellen eine eher rückwärts gerichtete Perspektive auf und beschreiben Zustände, die mindestens zwei Jahre zurückliegen. Angesichts der hohen Dynamik, die den SDG-Zielen innewohnt, reicht diese Sicht bei weitem nicht, um Programme und ihre Maßnahmen dorthin zu lenken, wo sie tatsächlich am stärksten gebraucht werden.
Denn um zum Beispiel Armut wirksam bekämpfen zu können, brauchen Entscheidungsträger wesentlich aktuellere und präzisere Informationen darüber, in welchen Regionen welche Bevölkerungsgruppen aus welchen Gründen wie stark betroffen sind. Vielerorts fallen gerade die extrem armen Bevölkerungsteile durch die Kategorien der offiziellen Statistiken. Das GSPDD-Netzwerk setzt genau hier an. Über leistungsstarke Kommunikationskanäle und multidimensionale Big Data-Modelle erschließen sie Daten aus allen verfügbaren Quellen und führen sie auf eine gemeinsame Auswertungsplattform. Hierbei helfen die neuen Methoden, die Frequenz, die Reichweite und die Granularität der Datenerhebung deutlich zu steigern.
Zugang ohne Expertenwissen
Sicherlich ist der Weg dahin nicht von heute auf morgen zu schaffen. Bewusst hat die Partnerschaft eine Roadmap abgesteckt, die bis ins Jahr 2030 reicht. Einer der ersten grundlegenden Schritte besteht jedoch darin, die zusammengeführten Daten so aufzubereiten, dass sie auch ohne Expertenwissen interpretierbar sind. Um jedermann einen möglichst einfachen Zugang zu dem Wissen hinter den Daten zu geben, hat SAP im Januar das Web-Portal www.saplumira.com/unglobalgoal eingerichtet, das den Entwicklungsstand der UN-Ziele anhand interaktiv nutzbarer Graphiken visualisiert. So zum Beispiel auch für das UN-Ziel „No Poverty". Hier erscheint eine Matrix, die für zahlreiche Länder ausweist, wie viele Menschen mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Zeigt man mit dem Mauszeiger auf einen der in der Matrix eingezeichneten Punkte, so leuchtet eine Linie mit den Vergleichszahlen für die Jahre 1980 bis 2013 auf. Auf diese Weise werden länderspezifische Entwicklungstrends auf einen Blick erkennbar. Zudem lassen sich Länder und Regionen direkt miteinander vergleichen. Je nach Fragestellung sind beliebig viele weitere Dimensionen darstellbar.
Das neue Portal soll dazu beitragen, die Entwicklungstrends der UN-Ziele zeitnah zu verdeutlichen. Jeder Akteur – sei er auf Seiten der NGOs, der Unternehmen, der Staaten oder internationaler Organisationen – kann dann anhand der visualisierten Informationen abwägen, wohin und in welcher Stärke er seine weiteren Aktivitäten lenken will.
Daniel Schmid wurde im Juni 2014 zum Chief Sustainability Officer der SAP ernannt und verantwortet Nachhaltigkeit im Gesamtkonzern. Der Diplom-Wirtschaftsingenieur gehört dem Lenkungskreis von econsense an.
Will Ritzrau arbeitet seit 2013 in der Nachhaltigkeitsabteilung der SAP SE. Für den promovierten Meeresbiologen besteht die Hauptaufgabe seiner Arbeit darin, Nachhaltigkeit in das Kerngeschäft aller Fachbereiche der SAP zu etablieren. „Wir sind davon überzeugt, dass IT und speziell Big Data durch erhöhte Transparenz, Automatisierung und Optimierung sowie Unterstützung von zukunftssicheren nachhaltigen Geschäftsmodellen den notwendigen wirtschaftlichen Wandel hin zu einer sozialen dekarbonisierten Ökonomie unterstützen, ja sogar beschleunigen können."
Der Kampf gegen die Sklaverei ist eine solche Aufgabe. Selbst konservative Schätzungen gehen von mindestens 20 Millionen Menschen aus, die in völliger Rechtlosigkeit Zwangsarbeit leisten. Ihren Ausbeutern bringen die modernen Sklaven, nicht selten sind es Kinder, Erlöse von bis zu 150 Milliarden US-Dollar. Eher sporadisch dringen Informationen darüber an die Öffentlichkeit, so etwa in Form von Berichten über den Abbau von Konfliktrohstoffen im Kongo. Doch in den meisten Fällen entzieht sich Zwangsarbeit unseren Blicken. Das Geflecht der globalen Wertschöpfungsketten ist zu tief gestaffelt, als dass sich die Rolle von sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen darin noch ohne weiteres erkennen ließe.
Die Non-Profit-Organisation Made in a Free World (MIAFW) will sich mit dieser Black-Box-Situation nicht länger abfinden. In einer für jedermann frei zugänglichen Datenbank schlüsselt MIAFW Rohstoffe, Waren und Dienstleistungen auf, deren Wertschöpfung in einem nachweisbaren Zusammenhang mit Sklavenarbeit stehen. Aktuell umfasst die Datensammlung 54.000 Wirtschaftsgüter. Unter der Internetadresse madeinafreeworld.com kann nun jeder die Folgen seines Kaufverhaltens überprüfen. Endverbraucher schaffen das mit wenigen Eingaben.
Sklaven in der Lieferkette
Größere Unternehmen haben es mit ungleich vielfältigeren Beschaffungsvorgängen zu tun, so dass ein Abgleich mit den Sklaverei-Daten erheblich komplexer ist. Damit den zuständigen Einkäufern keine zusätzliche Arbeit entsteht, bietet MFIAW eine Reihe von Werkzeugen, mit denen sich die Analyse automatisieren lässt. Beispielsweise kooperieren die Sklavereigegner mit dem Internet-Handelsnetzwerk Ariba. Allein dessen Kunden geben im Jahr 12.000 Milliarden US-Dollar für Waren und Dienstleistungen aus. Unternehmenskunden bietet Ariba die Möglichkeit, die Informationen ihres Beschaffungswesens mit den Informationen von Made in a Free World vollautomatisiert abzugleichen.
Das Beispiel zeigt das Potenzial innovativer Informationstechnologien, nachhaltige Entwicklungen ein entscheidendes Stück voranzubringen: Indem Big Data komplexe Daten aus unterschiedlichsten Quellen zusammenführt und in Echtzeit analysierbar macht, werden völlig neuartige Erkenntnisse möglich. Neuartig deshalb, weil herkömmliche Analysemethoden nicht einmal näherungsweise in der Lage sind, eine ähnlich hohe Zahl an Korrelationen in ein zusammenhängendes Rechenmodell zu bringen, das sich in vertretbarer Zeit auswerten lässt.
Rückenwind von den Vereinten Nationen
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gilt sicherlich nicht als jemand, der zu Übertreibungen neigt. Doch angesichts dieser Potenziale spricht er von einer Datenrevolution, die der Welt machtvolle Werkzeuge gibt, eine nachhaltigere Zukunft herbeizuführen. Um die neuen Möglichkeiten systematisch zu erschließen, setzten die Vereinten Nationen im August 2014 die Independent Expert Advisory Group on the Data Revolution for Sustainable Development ein. Dem 24-köpfigen Beratungsgremium gehören Vertreter aus Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft, Wissenschaft, Politik und internationalen Organisationen an.
Daten teilen
Die bislang wichtigste Empfehlung der Advisory Group ist der Aufbau eines Informations-Pools, der sich aus möglichst vielen unterschiedlichen Datenquellen speist. Ziel ist der freie Zugang aller Menschen zu einem Maximum an belastbaren Informationen. Wesentlich ist dabei auch ein kontinuierliches Monitoring der 17 Nachhaltigkeitsziele Sustainable Development Goals (SDG), die sich die Vereinten Nationen Ende September 2015 in New York gesteckt haben.
Gründungsmitglieder des GPSDD Auf Regierungsseite zählen Frankreich, Kenia, Kolumbien, Mexiko, Marokko, die Philippinen, der Senegal, das Vereinigte Königreich und die USA zu den Mitgliedern der ersten Stunde. Hinzu kommen sowohl Unternehmen wie Facebook, IBM, Nielsen, Mastercard und SAP als auch Stiftungen wie etwa die Hewlett Foundation, die United Nations Foundation und die World Wide Web Foundation. Eine Reihe von UN-Behörden wie das United Nations Development Program sowie internationale Organisationen und Netzwerke wie GEO, GODAN, OECD, Paris21, UNSDSN und Weltbank stellen ebenfalls ihre Datenbestände zur Verfügung. |
Im Zusammenhang mit Ziel Nummer 17 gründete sich die Globale Partnerschaft für Daten der Nachhaltigen Entwicklung (engl.: Global Partnership on Sustainable Development Data, GPSDD). Mehr als 70 Regierungen, NGOs, Unternehmen, internationale Organisationen und Expertennetzwerke aus aller Welt (vgl. Infokasten) erklären sich seither dazu bereit, ihre Datenbestände miteinander zu vernetzen.
Das vorrangige Ziel dieser beispiellosen Partnerschaft liegt darin, die Entscheidungsprozesse zu fördern, die zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele erforderlich sind. Aktuell ist die Informationslage stark eingeschränkt. Historisch bedingt operieren alle wichtigen Akteure in jeweils getrennten Datensilos. Zudem weisen fast alle Quellen eine eher rückwärts gerichtete Perspektive auf und beschreiben Zustände, die mindestens zwei Jahre zurückliegen. Angesichts der hohen Dynamik, die den SDG-Zielen innewohnt, reicht diese Sicht bei weitem nicht, um Programme und ihre Maßnahmen dorthin zu lenken, wo sie tatsächlich am stärksten gebraucht werden.
Denn um zum Beispiel Armut wirksam bekämpfen zu können, brauchen Entscheidungsträger wesentlich aktuellere und präzisere Informationen darüber, in welchen Regionen welche Bevölkerungsgruppen aus welchen Gründen wie stark betroffen sind. Vielerorts fallen gerade die extrem armen Bevölkerungsteile durch die Kategorien der offiziellen Statistiken. Das GSPDD-Netzwerk setzt genau hier an. Über leistungsstarke Kommunikationskanäle und multidimensionale Big Data-Modelle erschließen sie Daten aus allen verfügbaren Quellen und führen sie auf eine gemeinsame Auswertungsplattform. Hierbei helfen die neuen Methoden, die Frequenz, die Reichweite und die Granularität der Datenerhebung deutlich zu steigern.
Zugang ohne Expertenwissen
Sicherlich ist der Weg dahin nicht von heute auf morgen zu schaffen. Bewusst hat die Partnerschaft eine Roadmap abgesteckt, die bis ins Jahr 2030 reicht. Einer der ersten grundlegenden Schritte besteht jedoch darin, die zusammengeführten Daten so aufzubereiten, dass sie auch ohne Expertenwissen interpretierbar sind. Um jedermann einen möglichst einfachen Zugang zu dem Wissen hinter den Daten zu geben, hat SAP im Januar das Web-Portal www.saplumira.com/unglobalgoal eingerichtet, das den Entwicklungsstand der UN-Ziele anhand interaktiv nutzbarer Graphiken visualisiert. So zum Beispiel auch für das UN-Ziel „No Poverty". Hier erscheint eine Matrix, die für zahlreiche Länder ausweist, wie viele Menschen mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Zeigt man mit dem Mauszeiger auf einen der in der Matrix eingezeichneten Punkte, so leuchtet eine Linie mit den Vergleichszahlen für die Jahre 1980 bis 2013 auf. Auf diese Weise werden länderspezifische Entwicklungstrends auf einen Blick erkennbar. Zudem lassen sich Länder und Regionen direkt miteinander vergleichen. Je nach Fragestellung sind beliebig viele weitere Dimensionen darstellbar.
Das neue Portal soll dazu beitragen, die Entwicklungstrends der UN-Ziele zeitnah zu verdeutlichen. Jeder Akteur – sei er auf Seiten der NGOs, der Unternehmen, der Staaten oder internationaler Organisationen – kann dann anhand der visualisierten Informationen abwägen, wohin und in welcher Stärke er seine weiteren Aktivitäten lenken will.
Daniel Schmid wurde im Juni 2014 zum Chief Sustainability Officer der SAP ernannt und verantwortet Nachhaltigkeit im Gesamtkonzern. Der Diplom-Wirtschaftsingenieur gehört dem Lenkungskreis von econsense an.
Will Ritzrau arbeitet seit 2013 in der Nachhaltigkeitsabteilung der SAP SE. Für den promovierten Meeresbiologen besteht die Hauptaufgabe seiner Arbeit darin, Nachhaltigkeit in das Kerngeschäft aller Fachbereiche der SAP zu etablieren. „Wir sind davon überzeugt, dass IT und speziell Big Data durch erhöhte Transparenz, Automatisierung und Optimierung sowie Unterstützung von zukunftssicheren nachhaltigen Geschäftsmodellen den notwendigen wirtschaftlichen Wandel hin zu einer sozialen dekarbonisierten Ökonomie unterstützen, ja sogar beschleunigen können."
Gesellschaft | Megatrends, 23.04.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2016 - Zukunft gestalten erschienen.
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