Die digitale Revolution
Gefahr und Chance für den Mittelstand
Big brother is watching You…
Schier unglaublich klingt dieses
Zukunftsszenario und doch ist es angesichts der digitalen Möglichkeiten
unter dem Stichwort „Big Data" realistisch. Digitale Endgeräte speichern
unsere Aufenthaltsorte, Shopbetreiber merken sich unsere angeklickten
Seiten, Apps zeichnen unsere Interessen auf und Armbänder sind stets auf
dem Laufenden über unseren Gesundheitszustand. Die Uhr am Handgelenk
zeigt neben der Zeit auch den Kontostand, Amazons Echo im Bücherregal
registriert unsere Launen und Stimmungen, entdeckt 24 Stunden lang die
versteckten Vorlieben seiner Nutzer. Dank Facebook und Co. posten und
liken wir und neben diesem digitalen Lächeln im vermeintlichen
Freundeskreis geben wir unsere Gedanken und Gefühle preis. Wo sie sich
bündeln, bleibt ein Geheimnis. Sicher aber bleibt: Menschen werden
transparent. Sie hinterlassen leise ihre Spuren im World Wide Web und
machen mit jedem ihrer Schritte wenige Konzerne reich. Was bedeutet
diese Entwicklung für kleine und mittlere Unternehmen? Werden sie
sichtbar bleiben mit ihrer Leistung und ihren Werten oder bieten sie
sich im Glauben, alles würde gut, diesen Haien zum Fraß an?
…und der Mittelstand bleibt außen vor
Es sind die kleinen und mittleren Unternehmen
(KMU), die Deutschland wirtschaftlich stark machen. Sie bieten die
Qualität Made in Germany, um die uns Europa und die Welt beneidet. Sie
sind nicht kapitalgetrieben, sondern beflügelt durch Menschen mit ihrem
Wissen und ihrer Kreativität, durch Menschen, die diese Unternehmen
lenken und für ihren Erfolg arbeiten. Im globalen Wettbewerb werden
aktuell 80 Prozent dieser kleinen und mittelständischen Unternehmen
angegriffen. Wie das funktioniert? Nun, was oben noch wie eine
Science-Fiction-Szene wirkt, das findet in der B2C-Szene längst statt.
Kunden klicken, betrachten, ordern ihre Produkte im Internet. Sie
erheben sich kaum noch vom Sofa, um sich live von einem Verkäufer
beraten zu lassen, um Produkte haptisch zu erfassen und mit einer
Begegnung von Mensch zu Mensch diesen Einkauf zu einem persönlichen
Erlebnis zu machen – die Welt hat sich beschleunigt und damit wird Zeit
mehr denn je zu einer erschöpfbaren Ressource. Kurzum: Das Kaufverhalten
hat sich geändert und die Maßstäbe auch. Was heute zählt, ist der Klick
von Kauf bis zur Kontrolle, von Verfügbarkeit bis zum Nachverfolgen des
Sendestatus und einer verschlüsselten Zahlungsweise. Hier haben viele
Mittelständler zu lange gewartet und den Anschluss verloren.
Die Generation Y, jene internet- und datenaffinen Männer und Frauen zwischen 18 und 39 Jahren, tickt anders als noch die Baby Boomer vergangener Generationen. Sie hat häufig wenig Verständnis dafür, wenn sie Informationen nicht digital erhält. Sie will den Liefertermin für eine Waschmaschine zu jeder Tages- und Nachtzeit selbst auswählen, unkompliziert online Datendetails zum Auftrag abrufen können. Dafür sind sie auch gewillt, ihre Daten analysieren zu lassen, damit ihnen individuell bester Service, optimales Produkt und das ihren Interessen entsprechende Freizeitangebot offeriert wird. Der Ein-Mann-Betrieb um die Ecke, der kleine Handwerksladen von nebenan, das KMU in der Region hat Schwierigkeiten, diese Anforderungen zu erfüllen. Und genau an dieser Stelle entsteht ein Bruch. Kleine Betriebe richten den Fokus auf ihre Kernkompetenz und bieten ihre Leistung von 9.00 bis 19.00 Uhr an – also persönlich, aber zeitlich begrenzt. Was der moderne Kunde aber will, das ist eine Erreichbarkeit von 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche und rund ums Jahr. Welcher Handwerker kann eine solche Dauerpräsenz bieten? Welcher Kleinunternehmer will im Netz seinen Terminkalender von den Kunden füllen lassen, statt selbst zu Stift und Papier zu greifen? Lassen wir diese Fragen für einen Moment unbeantwortet und blicken auf die noch jüngere Generation, auf die Generation Z. Sie inhalieren mit dem ersten Schrei die Digitalisierung. Amazon, Google, Facebook & Co. haben in ihrer jungen Welt einen festen Platz. Ihr Teddybär ist das bunte Kindernotebook. Und ich muss kein Hellseher sein, um zu sagen: Betriebe, die das Big-Data-Spiel nicht beherrschen, werden von ihnen nicht mehr wahrgenommen werden. Menschen, Maschinen und Märkte verändern sich derzeit so schnell, wie seit hundert Jahren – wie zu Zeiten der industriellen Revolution – nicht mehr.
Verliert auch das Handwerk goldenen Boden?
Szenenwechsel von Daten zu Menschen: Steigende
Studienanfänger-Zahlen zeigen, dass die so genannten bodenständigen
Berufe weiter an Attraktivität verlieren. Und auch der Mittelstand hat
Schwierigkeiten, Nachwuchskräfte zu rekrutieren. Dies wird forciert,
weil die Lehre der Hochschulen auf die Industrie ausgerichtet ist und
somit konzernkonforme Menschen ausgebildet werden. Dieser akademische
Nachwuchs bleibt dem kleinen Mittelstand, mangels Perspektiven und auch
mangels moderner Arbeitsumgebung, häufig verwehrt. Die wenigen, die doch
in den kleinen und mittleren Betrieben anfangen oder sich als
Unternehmer in einem „Startup" selbstständig machen, werden bei Erfolg
häufig von Konzernen aufgekauft. Über Inkubatoren fördern Konzerne die
Startups, um aus deren Innovationsfähigkeit und Agilität Kapital zu
schlagen, oder gleich um die im Startup erprobten Prozesse, Methoden und
Produkte im eigenen Konzern umzusetzen. Gnadenlos werden die besten
Talente ausgesiebt und in die großen Unternehmen gezogen, die KMUs haben
dabei das Nachsehen. Das ist gefährlich für unser Land, denn es ist
gerade der Mittelstand, der die Brücken schlagen kann zwischen
Globalisierung und regionaler Verwurzelung, zwischen Tradition und
Professionalität, zwischen Menschlichkeit und der digitalen Welt.
Die Wirtschaft ist mehr als kompliziert, sie ist komplex
Die Automatisation in der Produktion 4.0 ist
unglaublich. Es gilt riesige Datenmengen zu verarbeiten und große
Netzwerke zu nutzen. Ähnlich ist es im Management. So sind
beispielsweise die rechtlichen Anforderungen an eine Unternehmensleitung
immens: Steuerstrafrecht, Datenschutz, Verordnungen, Umsatzsteuergesetz
und so weiter sind sogar für Experten hoch komplex und schwer
durchschaubar. Zivil- und strafrechtliche Strafen sind die Folge, wenn
man ein Risiko eingegangen ist, das man nicht überschauen konnte. Die
Folge ist, dass es für einen Menschen heute sicherer ist, in einem
Konzern mit umfangreicher Compliance-Abteilung zu arbeiten, die
Entscheidungen durch externe Gutachten bezüglich der international
geltenden Gesetze absichern lässt, als in einem kleinen Unternehmen, in
dem er eventuell selbst die Verantwortung tragen muss.
Diese umfassenden, gesetzlichen Herausforderungen lassen viele kleine und mittlere Betriebe vor der digitalen Revolution zurückschrecken. Zu groß erscheint das Risiko eines Datenlecks verglichen mit dem Nutzen, der sich kurzfristig aus der Datennutzung ergeben kann. Dabei übersehen viele Unternehmer, dass es Standardsoftware für unterschiedlichste Anforderungen gibt, die – einmal implementiert – pflegeleicht zu handhaben ist und in der Regel bereits alle gesetzlichen Anforderungen abdeckt. Investitionen in eine kompetente Beratung für den Schritt in die digitale Welt lohnen sich langfristig und sichern die weitere Existenz der Unternehmen. Es wird also höchste Zeit, dass der Mittelstand aufsteht, die digitale Revolution annimmt und das globale Spiel als Chance begreift. Wenn er gleichzeitig seine traditionellen Werte wie Ethik, Nachhaltigkeit und Menschlichkeit in die Waagschale wirft, dann öffnet sich der Blick für die Zukunft.
Ethik und Nachhaltigkeit als Zukunftsgaranten
Menschliche Bindungen, Ethik und
Nachhaltigkeit sind gewachsene Grundpfeiler der meisten KMU. Und auch
wenn im Unternehmensleitbild großer Konzerne das Wort Nachhaltigkeit
groß geschrieben wird, gelebt wird es oft nicht. Das Dilemma sehen wir
jüngst bei der Deutschen Bank, der Fifa und bei Volkswagen. Die Manager
in den Konzernen tragen nur Verantwortung für eine kurzfristige
Zielerreichung. Geht die Sache schief, gibt es meistens sogar noch eine
Abfindung für Manager. Ganz anders im Mittelstand: Hier tragen Familien
und kleinere Kreise von Kapitalgebern ein sehr persönliches Risiko und
bringen nicht zuletzt deshalb ihr ganzes Herzblut ein. Sie sind eng
verbunden mit Personal und Kundschaft und pflegen Beziehungen
langfristig. Die gemeinsam gelebten Werte schaffen dann auch eine
gemeinsame Wertschöpfung. Ein Fundament, das der Mittelstand seit jeher
aufbaut und pflegt. Er hat längst gelernt, dass das Vertrauen der Kunden
die Basis für eine langfristige Bindung ist und nur ein sinnvoller
Umgang mit allen Ressourcen – seien es Mitarbeiter, Kapital oder
Rohstoffe – zum Erfolg führt. Zusammenfassend möchte ich drei Faktoren
für einen erfolgreichen Mittelstand hervorheben.
Erfolgsfaktor Nummer Eins: Menschenorientierung
Erfolg ist die gemeinschaftliche Wertschöpfung
zum individuellen Nutzen aller Beteiligten und des gesamten Umkreises.
Alle Beteiligten begegnen sich auf Augenhöhe, ohne hierarchische Stufen.
Diese Regelkreise, die man beispielsweise in der Natur wiederfindet,
sollte man intelligent auf die Wirtschaft anwenden. Kleine und mittlere
Familienunternehmen haben hier große Chancen, da sie agil und flexibel
auf Anforderungen reagieren können. Die Kommunikation mit den
Zielgruppen über alle Kanäle sowie ein intelligentes Datenmanagement
ermöglichen es ihnen, ihr Angebot kundenorientiert, individuell und in
einer wertschätzenden Kommunikation zu optimieren. Jeder trägt
Verantwortung für seinen Part im Gesamtgefüge. Damit verschwindet
niemand hinter althergebrachten Organigrammen. Umkreisverantwortung
bedeutet, Raum für Emotionen und für Kommunikation zu schaffen.
Erfolgsfaktor Nummer Zwei: Flexible Arbeitswelten
Das Führen und Arbeiten auf Augenhöhe ist ein
wesentlicher Erfolgsfaktor der digitalen Wirtschaft, wenn die
wertschätzende Kommunikation einen Wert in der Unternehmenskultur
bedeutet. Neue Gehaltsmodelle beispielsweise bieten Bezahlung nach
Leistung und nicht mehr nach Anwesenheit. In den verlangten Leistungen
können klare ökonomische, ökologische und soziale Ziele ein fester
Bestandteil sein. Der Arbeitnehmer trägt selbst Verantwortung dafür,
diese Ziele in Kooperation mit seinen Kollegen zu erreichen. Vertrauen
ist die Grundlage. Es liegt somit in seinem Interesse, sich auch für das
Gemeinwohl und das Wohl der Firma zu interessieren. Gerade bei kleinen
und mittleren Unternehmen lassen sich solche Modelle schnell integrieren
und leben. Jeder Mitarbeiter wird zum Mit-Unternehmer im Unternehmen
und trägt damit auch eine Umkreisverantwortung.
Erfolgsfaktor Nummer Drei: Gemeinsames Nutzen von Ressourcen
In- und außerhalb von Unternehmen sollten sich
KMU-Gruppen, in der digitalen Wirtschaft so genannte Communities,
zusammenschließen, um gemeinsam Ressourcen wie Arbeitskraft, Wissen,
Zeit, Systeme, Energie und Daten zu nutzen. Das funktioniert nicht nur
innerhalb der eigenen Landesgrenzen, sondern bietet auch auf
internationaler Ebene phantastische Chancen. Gerade die digitale
Vernetzung ermöglicht es heute, unkompliziert mit Partnern aus allen
Kontinenten zusammenzuarbeiten. Das Netz bietet über Ländergrenzen
hinweg ein großes Potenzial an Manpower und Know-how, das auch
mittelständische Unternehmen nutzen können. Die internationalen Partner
beherrschen die jeweilige Landessprache fließend, verfügen über
interkulturelle Kommunikation, begreifen fremde Kulturen in ihrem Wert,
kennen die Gepflogenheiten auf internationalen Bühnen, verfügen über
hervorragende Kontakte vor Ort. Kleine und mittelständische Unternehmen
haben also große Chancen, sich mit wenig Aufwand und hohem Nutzen
international weiter zu entwickeln. Dabei stärken sie die Wirtschaft des
jeweiligen Landes durch virtuell geschaffene Arbeitsplätze, statt dort
gut ausgebildete Arbeitskräfte für teures Geld abzuziehen.
Sofern der Mittelstand diese drei wesentlichen Faktoren lebt, entstehen ökologische, ökonomische und soziale Systeme in einer globalisierten und digitalisierten Welt, die allen beteiligten Menschen einen Mehrwert schaffen. Gelebte Werte, die diese drei Faktoren als Grundlage haben, sind im neuen Zeitalter der digitalen Wirtschaft der Schlüssel zum erfolgreichen Wirtschaften.
Michael Schwienbacher
begleitet kleine und mittlere
Unternehmen auf ihrem Weg in die digitale Zukunft. Mit
seinem Unternehmen Schwienbacher + Partner möchte er sie durch
Prozessoptimierung, ein bewährtes Netzwerk und die aktive Mitarbeit als
integrierter Dienstleister beim Sprung in das globale Zeitalter
unterstützen. Für Schwienbacher bedeutet Wirtschaften, den Menschen zu
dienen und sich stets zu fragen: Wie kann mein Beitrag diese Welt ein
wenig besser machen.
Technik | Green IT, 01.01.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.
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