Zwischen Roggen und Radieschen
Das Geschäft mit dem Urlaub auf dem Land
Urlaub auf dem Lande ist Erholung zwischen altem Brauchtum und neuen Erlebnissen. In einer schnellen Gesellschaft, die nahezu keine traditionellen Strukturen mehr kennt, wächst die Sehnsucht nach einer heilen Welt. Eine neue Chance für ländliche Gebiete und ein Milliardengeschäft.
Der Traktor hoppelt über das abgeerntete Roggenfeld. Hans hält das Lenkrad fest im Griff und Hänschen Junior dicht neben sich. Die Rundballen auf dem Hänger müssen noch zur Scheune gebracht werden. Gemeinsam bestaunen sie die weite Landschaft ringsherum: Lila, gelb und grün leuchtet das prächtige Feldermeer. Ihr Gemüt ist so sonnig wie der frühe Morgen und am Hof wartet auch schon das Frühstück auf die beiden. Das ist Urlaub auf dem Bauernhof!
Unser Land soll schöner werden
Seit Anfang dieses Jahres gibt es einen neuen Arbeitsstab in der Bundesregierung. Ländliche Entwicklung nennt er sich und soll ministerielle Maßnahmen bündeln und Synergien nutzen. Ziel ist es, ländliche Räume attraktiv und vital zu gestalten und vor allem die dortige Wirtschaft in Schwung zu bringen. Tourismus gehört zu den Schwerpunkten des Arbeitsstabs.
Dieser Ansatz ist nicht neu – im Alpenraum ist er als „Agriturismo" bekannt. Die deutsche Sprache kennt Begriffe wie „Tourismus im ländlichen Raum" oder „Land- und Agrartourismus" – die geläufigste Form ist wohl der „Urlaub auf dem Bauernhof". Im Jahr 2013 haben 1,49 Millionen Reisende ihren Haupturlaub auf dem Bauernhof/Lande verbracht, so Bente Grimm von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. (FUR). Eine Online-Vermarktung der Höfe ist mittlerweile Standard und läuft – genau wie die Hotelsuche – über spezielle Portale. Zu den bekanntesten gehört landsichten.de. Das Portal bildet 15 verschiedene Hoftypen ab: neben den klassischen Bauernhöfen auch Reiter-, Fischer-, Winzer-, Kinder-, Mitmach- und Gesundheitshöfe sowie Berghütten oder Heuhotels. Die größten Zielgruppen sind dabei Familien und ältere Erwachsene. Ideeller Träger des Portals ist die „Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof und Landtourismus in Deutschland e.V." Der 1991 gegründete Verein zählt aktuell 3.200 Mitgliedsbetriebe und ist bundesweiter Interessenvertreter für den Tourismus im ländlichen Raum. In seiner jährlichen Saisonumfrage werden landwirtschaftliche Betriebe mit angeschlossenen Unterkünften befragt: Laut der neusten Veröffentlichung 2013/14 erwirtschaftet die Hälfte der Höfe bis zu 50 Prozent ihres Umsatzes aus dem Beherbergungsgeschäft. Der Tourismus ist damit eine wichtige Einnahmequelle in ländlichen Regionen.
Nachhaltig auf dem Lande
Das Konzept der Nachhaltigkeit ist längst bekannt: Es will den natürlichen Lebensraum erhalten, regionale Wirtschaftskraft entfalten und stabile gesellschaftliche Strukturen bewahren. Vermag der Tourismus auf dem Lande all dies zu leisten? Soviel ist klar: Der Tourismus braucht Attraktionen. Im ländlichen Raum ist die „Hauptattraktion" die Natur. Je attraktiver und abwechslungsreicher sie ist, desto beliebter wird sie bei Touristen. Um dieses Interesse zu erhöhen und größere Einnahmen zu erzielen, muss die Natur intakt sein. Damit erzeugt der Naturschutz einen direkten wirtschaftlichen Nutzen in ländlichen Regionen und landwirtschaftliche Betriebe können davon profitieren. Die vielfältige Natur bietet Erlebnisräume und die Landwirte bieten den Urlaubern eine Unterkunft und vielfältige Aktivitäten: Wandern in Wäldern, Natur- und Geoparks, Reiten durch die freie Landschaft oder auf eigens dafür angelegten Hufschlägen und Radfahren auf romantischen Feldwegen.
Und die Land-Urlauber wollen oft noch mehr. Sie suchen nach authentischen Erlebnissen und möchten am ländlichen Leben teilnehmen – vom Bett im Stroh bis hin zum Apfelpflücken auf der Streuobstwiese. Mit dieser Nachfrage stärken sie die regionale Kultur und fördern lokale Identität. Ein bedeutender Punkt, denn die Gebiete sind schon seit vielen Jahren durch Landflucht bedroht. Für viele Menschen bietet die Stadt attraktivere Lebensbedingungen: Arbeitsplätze, Kinderbetreuung, öffentliche Infrastruktur und medizinische Betreuung. Ländlicher Tourismus kann helfen, diesen Prozess zu stoppen: Ein neues Gästehaus auf einem Hof etwa muss renoviert, unterhalten und betrieben werden. Davon profitieren nicht nur Hofbesitzer sondern auch lokale Dachdecker, Schreiner und Malermeister. Die Touristen beleben die gesamte dörfliche Struktur: Durch den Einkauf von Lebensmitteln und Mitbringseln, die Besichtigung von Sennereien und alten Schmieden sowie den Besuch von Hofcafés und Wirtshäusern. So sichert und schafft das steigende Interesse am ländlichen Leben Arbeitsplätze und neue berufliche Perspektiven. Leider geht diese Rechnung nicht immer auf. Durch den Strukturwandel in der Agrarwirtschaft ist die Landschaft zunehmend von Monokulturen geprägt. Kleinere und traditionell arbeitende Bauernhöfe, die das Landschaftsbild erhalten, müssen immer häufiger größeren und moderneren Betrieben weichen. Mit dem Tourismus können sich die kleinen Betriebe ein zweites Standbein aufbauen und so traditionelle Strukturen erhalten.
Zwischen Massage und Mistgabel
Auf dem Urlaubshof kommen Menschen mit verschiedensten Interessen zusammen: Radfahrer und Naturentdecker, Wanderer und Genießer oder gar Wellnessliebhaber und Aussteiger auf Probe. Den „typischen Bauernhofurlauber" gibt es nicht. Susanne Wibbeke, Geschäftsführerin des Landesverbandes Bauernhof- und Landurlaub Bayern e.V. erklärt: „Die Trends im Hofurlaub sind vielseitig, aber eines wird deutlich: Die Gäste wollen immer mehr Service. Von Halbpension bis zum Wellnessbereich." Und so passen sich die Höfe den Bedürfnissen der Besucher an. Bereits heute gibt es eine Vielzahl an kleinen Wellnessangeboten auf dem Lande. Es stellt sich die Frage, wie Hofbesitzer den Full-Service bieten können. Schließlich müssen die Kühe gemolken, die Äpfel gepflückt und die Felder bestellt werden. Auch hier kennt Wibbeke die Antwort: „In den Betrieben funktioniert noch das Zusammenspiel Familie. Großeltern helfen mit auf dem Hof, die Bäuerin geht in der Früh in den Stall und kümmert sich danach um ihre Gäste. Alle Familienkräfte werden gebündelt, bis hin zu den Kindern, die sich auch mit den Ferienkindern austauschen, befreunden und miteinander spielen." Genau das ist auch ein Grund für den Erfolg des Hofurlaubs, denn dort findet man noch Tradition und Lebensart. So genannte Mitmachhöfe gehen noch einen Schritt weiter: Hier nehmen Urlauber selbst die Schaufel in die Hand und können so während ihres Urlaubs aktiv am Hofleben teilhaben. Auf diese Weise wird man zum Aussteiger auf Probe. Darin liegt die Romantik dieser Urlaubsform.
Ökologischer Landbau und sanfter Tourismus
Vor allem ökologisch wirtschaftende Höfe haben sich den Bedürfnissen der Urlauber angepasst. Etwa 400 Biohöfe in Deutschland bieten bereits Unterkünfte an und profitieren von den zusätzlichen Einnahmen. Tourismus kann den ökologischen Landbau fördern. Das dachten sich auch polnische Biobauern, als sie Anfang der 1990er-Jahre das Netzwerk ECEAT (European Centre for Ecological and Agricultural Tourism) ins Leben riefen. Die Idee war die Förderung des ökologischen Landbaus durch zusätzliche Einnahmen aus nachhaltigem Tourismus. Mittlerweile gibt es Partnerorganisationen in 20 Ländern. In Deutschland ging daraus der eigenständige Verein ECEAT Deutschland hervor, der die Reiseführerreihen „Urlaub auf Biohöfen" und „Grüne Ferien" herausbringt. Eine besondere Form der Verbindung aus Reisen und ökologischem Landbau ist das Wwoofing: „World Wide Opportunities on Organic Farms" bietet eine Art Arbeitsurlaub auf ökologischen Höfen und gibt Menschen die Möglichkeit, Höfe im eigenen Land und auf der ganzen Welt kennenzulernen. Für etwa vier Stunden Mithilfe am Tag bekommt man freie Kost und Logis am Hof. Landwirtschaftliche Vorkenntnisse sind keine Bedingung für den Aufenthalt. Teilweise ist der „kostenlose Urlaub" jedoch an einen Mindestaufenthalt von ein oder zwei Wochen geknüpft. Denn anders als bei Mitmachhöfen steht hier nicht der Erlebnisfaktor im Vordergrund, sondern der tatsächliche Arbeitseinsatz. In Deutschland sind rund 300 Höfe an das Programm angeschlossen; weltweit sind es über 7.000 Betriebe. Der Verein „Freiwillige Arbeitseinsätze in Südtirol" verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Durch die freiwillige und ehrenamtliche Mitarbeit von Menschen sollen hilfsbedürftige Bergbauern unterstützt werden. „Bei uns stehen nicht ausschließlich ökologisch wirtschaftende Höfe im Mittelpunkt, sondern in Not geratene Kleinstbetriebe, die aus Liebe zum Erbe der Eltern fortgeführt werden". Im Jahr 2014 gab es mehr als 2.400 Freiwillige – Tendenz steigend. Die Helfer genießen die Ruhe, den Einklang mit der Natur und die Zufriedenheit nach einem Tag der körperlichen Anstrengung. Vom Studenten bis zur Topmanagerin sind hier alle Berufsgruppen vertreten. „Wir freuen uns über jeden zusätzlichen Helfer. Jedoch muss klar sein, dass bei uns ein Arbeitstag auch mal zehn Stunden haben kann", so Monika Thaler, Koordinatorin des Vereins.
Dörfer, die nicht schlafen
Auch weil viele Dörfer in Deutschland ihre Traditionen noch leben, kann der Tourismus den ländlichen Raum erobern. Das Projekt „Sachsens Dörfer" etwa umschließt aktuell 21 Dörfer, die sich gemeinsam touristisch vermarkten. Neue Bewerber sind jederzeit willkommen.
Der ländliche Raum sorgt auch für Überraschungen: Die Bevölkerungsdichte in manchen Gegenden Brandenburgs ist so gering, dass sie größtes touristisches Potenzial mit sich bringt. Denn wo nachts nur vermeintlich alles schläft, finden Astrotouristen Verhältnisse vor, die sonst nur im australischen Outback und auf den hawaiianischen Inseln bestehen. So kann selbst die Dunkelheit zu einem Geschäft werden.
Auch Kulturprojekte können den ländlichen Raum beflügeln und 100-Seelen-Dörfer in touristische Pilgerorte verwandeln. So geschieht es jedes Jahr im brandenburgischen Klein Leppin durch die Initiative „Dorf macht Oper". Ein ähnliches Projekt ist das „Theater am Rand" im Oderbruch direkt an der polnischen Grenze. Solche kulturellen und touristischen Konzepte sind für die Entwicklung des ländlichen Raums von größtem Interesse. Durch ein gemeinsames Engagement von Anbietern, Staat und Verbrauchern können ländliche Regionen lukrativ und lebendig werden. Man kann gespannt sein, welch kreative Meisterleistungen der Arbeitsstab der Bundesregierung für die ländliche Entwicklung auf die Beine stellt.
Hans und sein Sohn sind mit ihrem Werk hoch zufrieden. Das Stroh ist in der Scheune, schnell haben sie noch die Schafe auf die Wiese getrieben und jetzt lassen sie sich das kräftige, selbstgebackene Roggenbrot der Bäuerin und die frischen, knackigen Radieschen aus dem Garten schmecken.
Stefanie Kuhnt...
...ist seit Jahren in der Tourismusbranche tätig und schließt diesen Sommer ihr Masterstudium „Nachhaltiges Tourismusmanagement" an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde ab. Verantwortungsbewusstes Handeln im Alltag und auf Reisen sowie die kritische Auseinandersetzung mit den aktuellen Erfordernissen beflügeln ihre Gedanken und ihre Feder.
Schulbauernhöfe zeigen Kindern anschaulich, was das Leben auf dem Hof bedeutet. Der Seiml-Hof im Chiemgau ist ein solcher Schulbauernhof. Der landwirtschaftliche Vollerwerbsbetrieb leistet Bildungsarbeit im Sinne der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die gemeinnützige Einrichtung zieht neben Schulen auch immer mehr Firmen an, die hier Schulungen und Incentives veranstalten. „Besonders wichtig ist für Firmen die Verbindung zur Nachhaltigkeit. Bei uns kann man das „back to the roots" förmlich spüren", sagt Thomas Mitterer, 1. Vorstand des Seiml-Hofs. In Deutschland gibt es nur wenige Schulbauernhöfe, die noch einen direkten landwirtschaftlichen Bezug haben oder sich gar über die Landwirtschaft finanzieren. Ziel des Seiml-Hofes ist es, Einblicke zu gewähren und neue Erfahrungen zu ermöglichen. Mitterer denkt aber noch weiter. Er möchte durch eine soziale Landwirtschaft eine Alternative aufbauen und in Zukunft auch Asylsuchenden oder Menschen mit Behinderung eine Unterbringung und Berufsorientierung bieten.
Lifestyle | Sport & Freizeit, Reisen, 01.04.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2016 - Zukunft gestalten erschienen.
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